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Episode 5: After Action Review – Transkript

Hallo, ich bin Thomas Prinz von krisenmeisterei.at.

Ich helfe Verantwortlichen, Krisen souverän und kompetent zu meistern damit diese nicht zu Ihrer persönlichen Tragödie werden.

Heute geht es um den „Tag danach“, das sogenannte After Action Review.

Wobei: Genaugenommen sollte das so rasch wie möglich durchgeführt werden. Also im Idealfall sogar gleich am selben Tag wie eine Übung oder ein Ereignis. Aber auf jeden Fall zumindest so rasch wie möglich,

Wozu braucht man sowas überhaupt? Reicht es nicht festzustellen, dass alles gut gegangen ist? Oder zumindest „gerade noch“ gut gegangen… Wenn man sich so manche Übungs-Nachbesprechungen ansieht, könnte man das fast meinen. Da erlebt man nicht selten kollektives Schulterklopfen mit dem Zusatz: „Das eine oder andere muss man sich natürlich noch mehr ansehen. Das machen wir dann in den nächsten Monaten…“ Die perfekte Einleitung für Vorhaben, die in Wirklichkeit nie geschehen.

Dass ich das nicht für ausreichend halte ist, glaube ich, deutlich genug erkennbar. Aber warum? Weil es einfach eine vertane Chance ist, die letztendlich die gesamte Organisation des Gesamtunternehmen gefährden kann. Bei einer Übung, einem „Beinahe-Ereignis“ oder auch einem tatsächlichen Ereignis werden unsere Pläne, unsere Strukturen und letztendlich auch unsere Mitarbeiter einem Test unterzogen. In den seltensten Fällen wird alles perfekt ablaufen. Zumindest dann, wenn echtes Krisenmanagement gefragt ist. Das liegt in der Besonderheit von Krisen begründet. Wir können deren Bewältigung nicht im Detail vorplanen, sondern können nur Rahmenbedingungen schaffen und vorbereiten um im Ernstfall bestmöglich gerüstet zu sein. Umso wichtiger ist es, diese Rahmenbedingungen immer wieder zu überprüfen und an die aktuellen Notwendigkeiten anzupassen. Nur so können wir sicherstellen, bestmöglich für den Krisenfall gerüstet zu sein.

Ja, im Prinzip kann man sagen: Eine Übung ohne umfassende Aufarbeitung ist letztendlich hinaus geschmissenes Geld. Und wenn nach einem tatsächlichen Ereignis keine entsprechenden Untersuchungen durchgeführt werden, grenzt das für mich schon an Fahrlässigkeit. Denn man riskiert, dass Dinge, die dieses Mal gerade noch gut gegangen sind – und damit eigentlich Risiken darstellen – unerkannt bleiben. Und beim nächsten Mal womöglich dramatische Auswirkungen haben.

Eines der wichtigsten Werkzeuge für das Aufarbeiten in diesem Sinne ist das so genannte After Action Review. Dabei werden die Geschehnisse aus mehreren Perspektiven beleuchtet, Und zwar umfasst so ein After Action Review in der Regel vier Teile. Zunächst wird überprüft, welche Aktivitäten gesetzt, welche Entscheidungen getroffen hätten werden sollen. Dann wird ermittelt, was tatsächlich getan wurde. In der dritten Phase wird analysiert was gut und was schlecht an der tatsächlichen Vorgehensweise war. Die letzte Phase dient der Ausarbeitung, wie die Aufgaben beim nächsten Anlassfall umgesetzt werden sollten. Also, die Implementation von sogenannten „Lessons-learned“.

Spätestens hier stellt sich jetzt die Frage der Dokumentation. Im Falle eines tatsächlich Ereignisses sollten alle Verantwortlichen Stellen bzw Entscheidungsträger ihre Aktivitäten entsprechend dokumentiert haben. Das ist etwas, was in der Realität aber oft massiv vernachlässigt wird. Gerade in der heißen Phase des Krisenmanagements höre ich von unerfahrenen Personen immer wieder die Meinung: „Ich bin so beschäftigt mit dem Krisenmanagement, da habe ich nicht noch Zeit für Dokumentation.“ Warum diese Einstellung sehr gefährliche Folgen haben kann werde ich meiner nächsten Podcast Folge näher beleuchten.

Aber auch bei einer Übung sollten die Beteiligten natürlich genauso dokumentieren wie in einer Echt-Situation. Schon alleine des Übungseffektes wegen. darüber hinaus gibt es bei Übungen im Regelfall Fachbeobachter die ihrerseits dokumentieren und auch durchaus beurteilen sollten. Es gibt übrigens auch die – zugegebenermaßen recht selten genutzte – Möglichkeit im Ernstfall einen Fachbeobachter hinzu zu ziehen der einerseits das leitende Team im Bedarfsfall coacht und andererseits bereits während der Krise deren Aufarbeitung vorbereitet und später das After Action Review moderiert.

Zurück zum Thema Übungen: Beim Beurteilen von Übungen sind immer natürlich sowohl Achtsamkeit als auch Professionalität geboten. Eine rein verbale Beurteilung verführt oft dazu, zu positiv zu formulieren. Was gerade zu Beginn – wenn noch nicht viel Erfahrung bei den Übenden besteht – durchaus im Sinne einer Vertrauensbildung erwünscht sein kann. Im Grunde sollte es aber klare Aussagen über die Zielerreichung und deren Qualität von Seiten der Beobachter geben.

Hier gefällt mir sehr gut das Amerikanische System aus dem Exercise Evaluation Guide der Homeland Security. Dieses System sieht vier mögliche Ratings vor: „P“, „S“, „M“ und „U“. Im Detail bedeutet das „P“: „Performed without Challenges“. Das heißt, die kritischen Aufgaben wurden erfüllt, die Ziele wurden auf eine Art und Weise erreicht welche die Leistungsfähigkeit anderer Aktivitäten nicht negativ beeinflusst hat. Also es gab keine Side-Effects: Es wurden keine zusätzlichen Gesundheits- bzw Sicherheitsrisiken für die Öffentlichkeit oder die eingesetzten Kräfte hervorgerufen. Und es wurde gemäß geltender Pläne, Richtlinien, Verfahren, Vorschriften und Gesetzen gehandelt bzw entschieden. Das zweite Rating, der zweite Level wäre dann „S“: „Performed with Some Challenges“. Das bedeutet grundsätzlich wurden die Aufgaben wie zuvor beschrieben ohne negative Side-Effects erreicht. Allerdings gibt es Möglichkeiten zur Verbesserung von Effektivität und/oder Effizienz. Rating Nummer 3: „M“. Das bedeutet: „Performed with Major Challenges“. Dieses Rating bedeutet, dass das Ziel der Aktivität zwar erreicht wurde, dass es aber sehr wohl zu negativen Side-Effects kam. Es wurden eben andere Aktivität negativ beeinflusst. Oder zusätzliche Gesundheits- bzw Sicherheitsrisiken hervorgerufen. Oder es wurden nicht alle gelten Dokumente ausreichend berücksichtigt. Also z.B. Pläne, Richtlinien, Verfahren, Vorschriften oder Gesetze. Dabei spielt es für das Rating „Performed with Major Challenges“ zunächst keine Rolle, ob nur einer dieser Side-Effects oder gleich mehrere aufgetreten sind. Bei der Aufarbeitung der Ergebnisse muss das aber natürlich genau untersucht werden. Ja, und das letzte, das vierte Rating „U“ steht für „Unable to be Performed“ und die Bedeutung dieser Einstufung ist simpel und einfach: Die Ziele wurden nicht erreicht.

Der Grund, warum ich persönlich dieses Rating-System favorisiere ist recht einfach: Bei den Ratings „S“, „M“ und „U“ – also alles außer „perfekt“ – ist klar an der Definition erkennbar um welche Art von Mangel oder Verbesserungspotential es sich handelt. Und das muss vom Beobachter natürlich auch hinterlegt und dokumentiert werden. Damit bietet dieses System eine gute Grundlage für eine möglichst sachliche und objektive Diskussion. Auf jeden Fall wesentlich besser als z.B. unser Schulnotensystem. Oder die Einschätzung zu wie viel Prozent die Ziele erreicht wurden, und so weiter und so fort.

Wie setzt man so ein After Action Review nun konkret. Nun im Idealfall wird ein moderiertes Gespräch mit allen Beteiligten geführt. Hier sollte man immer in Erwägung ziehen, die Dienste einer externen Fachfrau oder eines externen Fachmanns in Anspruch zu nehmen. Auf jeden Fall zumindest dann, wenn während der Krisenbewältigung starke Emotionen aufgetreten sind. Denn nicht selten führen derartige Ereignisse dazu, dass unbewusste oder kalte Konflikte aufbrechen und dann weiterarbeiten. Eine konstruktive Aufarbeitung der Ereignisse wird dadurch natürlich massiv erschwert. Weil die Betroffenen bzw. beteiligten Personen da mitunter mehr die Abrechnung als die Aufarbeitung suchen – vielleicht sogar nur unbewusst. Interne Personen, die womöglich selbst zum Konflikt-System gehören, vielleicht sogar ohne sich dessen bewusst zu sein, könnten schnell mit der Moderation eines After Action Reviews überfordert sein. Denn ein externer Moderator tut sich in solchen Situationen üblicherweise leichter, eine neutrale Position einzunehmen.

Lassen es die Umstände zu, dann kann ein After Action Review durchaus im Rahmen eines einzigen Workshops durchgeführt werden. Wo das aufgrund der Komplexität der Ereignisse bzw aufgrund der Anzahl der Beteiligten nicht möglich ist, kann man das auch entsprechend strukturiert aufteilen. Manchmal werden auch ausschließlich die Entscheidungsträger, also ohne Einbeziehung ihrer Mitarbeiter, eingebunden. Das kann durchaus Sinn machen in Hinblick auf die Effizienz der Meetings. Allerdings besteht dann unter Umständen die Gefahr, dass diese Führungskräfte ausschließlich ihre Sicht der Dinge einbringen – was natürlich nur zu menschlich ist. Aber besonders dann, wenn einzelne Entscheidungsträger Defizite im Krisenmanagement aufgewiesen haben, kann es dadurch sein, dass dies, dieser Umstand, so nicht ausreichend erkannt wird.

Gleich wie die Gespräche strukturiert werden: Wenn es mehr als einen Termin gibt würde ich dringend empfehlen, dass die Moderation aller Teil-Nachbesprechungen von derselben Person oder zumindest vom selben Team wahrgenommen werden. Ansonsten ist die Gefahr zu groß, dass durch die unterschiedlichen Sichtweisen und Interpretationen erst wieder wichtige Informationen verloren gehen.

Nun zu den einzelnen Phasen des After Action Reviews. In der Phase 1, in der es darum geht was geschehen hätte sollen, sind die typischen Leitfragen an die Teilnehmer: „Was waren ihre Ziele? Warum haben sie diese oder jene Aktionen gesetzt? Was waren Ihre Vorgaben?“ Ja, und diese Vorgaben können im Wesentlichen aus drei Quellen stammen. Zunächst natürlich von vorgesetzten Stellen. Dann von externen Autoritäten, zum Beispiel Verwaltungsbehörden (dazu gehören z.B. auch Gesetze). Oder aus den eigenen Pläne bzw Richtlinien: Die Berücksichtigung dieser Vorgaben ist auch dafür wichtig um später festzustellen, was bewerkstelligt hätte werden sollen und was tatsächlich geschehen ist. Und was eine mögliche Abweichung zwischen diesen beiden Positionen für die Organisation bzw das Unternehmen bedeutet.

In der nächsten Phase, der Phase 2, geht es dann darum, was tatsächlich geschehen ist. Ganz wichtig dabei ist es, verschiedene Sichtweisen, verschiedene Perspektiven zusammenzutragen. Gleichzeitig sollte der Fokus auf Fakten und weniger auf Meinungen liegen. Wobei Emotionalitäten nicht verschwiegen werden sollten. Aber eben als Fakt, dass es so war. Auf keinen Fall darf es zum sogenannten „Blaming“, einer emotionalen Schuldzuweisung, kommen. Es geht also nicht darum, wer schuld an einer Situation war, sondern darum, welche Ereignisse dazu führten und welche Ereignisse folgten.

Ja, Phase 3 soll aufzeigen was gut oder schlecht an unserer Vorgehensweise war. Eine Schlüsselfrage dabei ist: „Was haben wir so gut gemacht, dass wir darüber reden sollten damit es nicht in Vergessenheit gerät.“ Aber es geht natürlich auch um Fehler, die geschieden sind. Wichtig ist auch hier, dass auf jeden Fall das „Blaming“ vermieden wird. Ja, vielleicht ist jemand schuld und wir müssen uns überlegen, ob sie oder er die richtige Person für die jeweilige Position ist. Aber das gehört in vertrauliche Führungsgespräche, in vertrauliche Mitarbeitergespräche. Und nicht in den After Action Review, Hier in diesem Review sollen Erfolge und Fehler identifiziert werden die uns dabei helfen, in Zukunft besser zu agieren. Die europäische Norm CEN/TS 17091 ist auch hier sehr klar: Es geht beim nachträglichen Evaluieren von Entscheidungen nicht darum ob sie „korrekt“ waren. Sondern darum, ob sie in Anbetracht des damaligen Kenntnisstands vertretbar waren oder nicht. Wobei „vertretbar“ bedeutet: Waren sie notwendig? Verhältnismäßig? Legal? Ethisch und im Einklang mit den Werten der Organisation?

Ja, und dann der Schwerpunkt der vierten und letzten Phase des After Action Reviews: Was soll in Zukunft anders laufen? Es geht also um die Lessons-learned. Unter diesem Aspekt gilt es vor allem zu überlegen, welche zusätzlichen Kompetenzen und vor allem auch Anpassungen von Plänen bzw Richtlinen es braucht.

Ja, was sind nun die größten Herausforderungen beim After Action Review. Zunächst einmal ganz banal, dass so ein After Action Review überhaupt stattfindet. Wir Menschen wollen nach einer krisenhaften Situation nun einmal so schnell wie möglich wieder zu unserer Normalität zurück. Darüber hinaus gibt es nach einer Krise natürlich sehr viel nachzuarbeiten. Dadurch wird es nur zu leicht, wenn nicht sogar zu verlockend, eine Nachbearbeitung der Krise selbst hinauszuschieben. Somit ist es eine absolute Aufgabe des Managements dran zu bleiben. Auch wenn ein After Action Review Ressourcen bindet, die man woanders auch dringend braucht. Ohne dieses Review kann es sein, dass diese Krisenbewältigung die letzte – zumindest die letzte erfolgreiche – war.

Aber auch nach Übungen werden After Action Reviews oft und immer wieder hinausgeschoben. Bis sie letztendlich gar nicht stattfinden. Ich habe nicht selten erlebt, dass Teams direkt nach einer Übung sehr motiviert beschlossen haben, dass sie unbedingt dranbleiben und Übungs-Ergebnisse nachhaltig aufarbeiten wollen. Irgendwann innerhalb der nächsten zwei bis vier Wochen. Und: Überraschung! Der Alltag brachte dann in diesen zwei bis vier Wochen so viele wichtige Dinge, dass einfach kein Platz mehr für das After Action Review war, Und mitunter die nächste jährliche Übung schneller da war als die Aufarbeitung und der letzten. Das ist natürlich alles andere als optimal.

Meine dringende Empfehlung daher: Das After Action Review gehört schon bei der Übungsplanung mit fixiert. Wenn man das nicht, tut ist es irgendwie fast Selbstbetrug. Denn die nachhaltige Aufarbeitung einer Übung kann durchaus gleich viele oder sogar mehr personelle Ressourcen binden wie die Übung selbst. Aber ohne diese Maßnahme, ohne dieses Review ist die Nachhaltigkeit der Übung selbst schwer in Zweifel zu ziehen.

Ja, die zweite große Herausforderung beim After Action Review sind natürlich die Emotionen. Es sagt sich leicht, dass wir ohne Schuldzuweisungen die Geschehnisse aufarbeiten und lernen wollen. Aber wenn es dann um Dinge geht, die nicht perfekt gelaufen sind, kann es sehr schnell zu einer Situation kommen wo sich Personen angegriffen und in die Enge getrieben fühlen. Hier ist einerseits eine professionelle Moderation gefordert, andererseits sollte das auch gleich als Anlass genommen werden, an der Unternehmenskultur in Richtung No-Blame-Culture zu arbeiten. Das hätte dann auch gleich eine großartige prophylaktische Wirkung.

Soweit für heute zum Thema „After Action Review – der Tag danach“. Wenn sie etwas nachlesen wollen, dann finden sie Shownotes, ein Transkript und weitere wertvolle Infos auf meiner Webseite, auf krisenmeisterei.at. Dort können Sie auch meinen monatlichen Newsletter abonnieren oder mein eBook runterladen. Wenn Sie besondere Wünsche oder Anregungen haben, dann würde ich mich über eine E-Mail sehr freuen. Meine E-Mail-Adresse: podcast@krisenmeisterei.at

Ja, das war’s für heute.

Ich bin Thomas Prinz von krisenmeisterei.at. Vielen Dank für’s Zuhören und auf Wiedermeistern bei der nächsten Folge.

 

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