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Episode 4: Übungen – Transkript

Hallo!

Ich bin Thomas Prinz von krisenmeisterei.at. Ich helfe Verantwortlichen, Krisen souverän und kompetent zu meistern damit diese nicht zu Ihrer persönlichen Tragödie werden.

Heute geht es um das sinnvolle und effiziente Üben von Krisenmanagement-Plänen. Wenn ich sage „sinnvoll“ und „effizient“, da liegt es natürlich nahe, dass man auch sinnlos und ineffizient üben kann. Leider zeigt meine Erfahrung, dass das gar nicht so selten passiert. Was auch letztendlich meine Motivation für diese Podcast Folge war.

Zum Einstieg eine Geschichte, die tatsächlich so passiert ist: In einem großen Dienstleistungsunternehmen wurden Notfallpläne entwickelt. Diese wurden dann ausgedruckt an allen relevanten Stellen hinterlegt – natürlich auch in der Telefonzentrale. Dann wollte man die Pläne testen. Das tat man so, dass unangekündigt ein anonymer Anruf in der Telefonzentrale einging mit dem Inhalt: „In Ihrem Gebäude geht demnächst eine Bombe hoch!“

Die Telefonistin hätte nun zum Notfallplan greifen, nach diesem handeln und damit das Krisenmanagement des Unternehmens ingang setzen sollen. Tatsächlich aber stand sie auf, erklärte ihren Kollegen es ginge ihr nicht gut und verließ das Haus. Damit war die Übung auch schon beendet. Was war geschehen? Natürlich wäre es einfach zu sagen: Die Telefonistin hat versagt und ist an allem alleine schuld.

Tatsächlich kamen hier aber mehrere Fehler zusammen: Zum einen implementiert Notfallpläne nicht dadurch, dass man einfach Papier verteilt. Man muss den Menschen den Inhalt der Pläne näher bringen – unter anderem mit Übungen, was ja unser heutiges Thema ist. Der zweite Fehler: Es wurde gleich mit einer nicht angekündigten Ernstfall-Übung gestartet, ohne auf die konkrete Belastbarkeit und Erfahrung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Rücksicht zu nehmen.

Es stimmt natürlich, im echten Ernstfall nimmt auch keiner Rücksicht. Aber wir wollen unsere Teams ja dazu bringen, dass sie Kompetenz und Souveränität erlangen. Ein super Rechtsanwalt beginnt seinen Weg schließlich ja auch nicht mit dem ersten Mordprozess, sondern einmal mit dem Studium. (Juristen mögen mir diesen Vergleich verzeihen.)

Die europäische Norm CEN/TS 17091, die auf europäischer Ebene wichtige Vorgaben für das Krisenmanagement definiert, sagt sogar wörtlich: „Es könnte kontraproduktiv, sinnlos und möglicherweise unethisch sein, Personen eine Übung durchlaufen zu lassen ohne ihre Eignung für die Funktionen und Verantwortlichkeiten des Krisenmanagements zu entwickeln und zu bestätigen.“ Ich denke, das sind sehr deutliche und sehr klare Worte.

Das heißt: Was brauchen wir? Also, natürlich, zunächst einmal brauchen wir Pläne, die realistisch umsetzbar sind. Dann brauchen wir die entsprechenden Ressourcen, um die Pläne im Krisenfall umzusetzen. Vor allem: Wir brauchen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die physisch und psychisch dazu in der Lage sind entsprechend der Pläne zu handeln. Das sind sie aber nur, wenn Sie wissen was zu tun ist. Und dieses Wissen im Ernstfall auch verfügbar ist. Was meine ich damit?

Nun, es gibt eine Zusammenhang zwischen Wissen und Emotionen. Ohne jetzt zu tief darauf eingehen zu wollen: Je stärker die Emotionen und je höher der Stress ist, umso eher erinnert man sich daran, was unter ähnlichen emotionalen Bedingungen erfolgreich war – und zwar nur daran. Andere Optionen existieren dann schlicht und ergreifend nicht mehr. Sie haben sicher selbst schon einmal Dinge erlebt oder gelesen oder gesehen wo sie gesagt haben: „Das sagt einem doch der gesunde Hausverstand, dass das ein Blödsinn ist!“ Das Problem mit dem Hausverstand ist leider nur, dass er in besonders emotionalen Situationen – und das sind Krisen nun mal zumeist – ziemlich verstummt. Dann ist oft nur noch das Wissen abrufbar, das bereits unter ähnlich emotionalen Bedingungen erfolgreich angewendet wurde.

Konkret: Wenn die zuvor erwähnte Telefonistin bis jetzt einer Gefahr am besten dadurch ausgewichen ist, dass sie sich davon gemacht hat, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sie es immer wieder tun wird. Vor allem, wenn es stressig wird, vor allem, wenn die Emotionen hochgehen. Was kann man dagegen tun? Nun, Ihr zunächst einmal in Ruhe erklären, was von ihr gewünscht wird. Das ist vermutlich auch geschehen.

Aber, dann muss die erwünschte Handlung auch geübt werden. Und zwar unter steigender Belastung, bis man einen Stress Level erreicht hat der hoch genug ist, dass die Erinnerung an die erwünschte Handlung auch im Ernstfall verfügbar ist. Wichtig dabei ist nur, dass man den Stresslevel nicht zu schnell erhöht. Es geht nämlich darum, dass man sich an eine erfolgreiche Handlung erinnert. Steigert man den Stresslevel bei der Übung zu rasch bzw. zu stark, so kommt es womöglich zu einem Scheitern, das in der Zukunft sogar zu einer Vermeidung der gewünschten Handlung führen kann. Im Klartext: Durch schlecht angelegte Simulationsübungen kann ich die Krisenkompetenz meines Teams leider sogar reduzieren statt steigern.

Insgesamt könnte man leicht überspitzt formulieren: Ohne effiziente und regelmäßige Übungen ist mein Krisenmanagementplan nichts anderes als ein Lottoschein: Die richtigen Handlungen könnten im Ernstfall gesetzt werden – aber die Wahrscheinlichkeit dafür ist nicht extrem hoch.

Das heißt: Es braucht Übungen! Und die wollen wir uns jetzt etwas genauer ansehen. Zunächst einmal: Welche Arten von Übungen gibt es eigentlich? Da kann man unter anderem nach zwei Gesichtspunkt unterscheiden: Einmal nach Umfang und Zielgruppe der Übung, und zum anderen nach dem Zweck der Übung.

Starten wir mal mit der Unterscheidung nach Umfang und Zielgruppe: Das ist eine recht gängige Systematik und die kennt dabei neun verschiedene Varianten. Die ersten beiden sind eigentlich gar keine richtigen Übungen im eigentlichen Sinn, man spricht eher von Tests: Einerseits Test der technischen Vorsorgemaßnahmen und andererseits sogenannter Funktionstest. Beides ist absolut operativ: Beim Test der technischen Vorsorgemaßnahmen geht’s um das Testen einzelner Komponenten bzw. einzelner Ressourcen. Zum Beispiel: Funktioniert das Notstromaggregat, funktioniert das Backup, etc. Beim Funktionstest geht es um Teilprozesse bzw. um Systemgruppen, also um Abläufe und das Zusammenspiel von Komponenten.

Die nächste Stufe wäre das sogenannte Plan-Review. Dabei werden Pläne theoretisch durchgegangen und auf ihre Plausibilität überprüft. Das kann einfach am grünen Tisch passieren oder auch im sogenannten Umlauf: Die jeweils Verantwortlichen für die einzelnen Komponenten der Pläne machen das jeder für sich und die Ergebnisse werden dann von einem Hauptverantwortlichen integriert. So ein Review sollte zumindest einmal jährlich unbedingt durchgeführt werden.

Dann geht’s weiter mit der sogenannten Planbesprechung – dasu wird auch oft als Table-Top-Exercise bezeichnet. Dabei werden bestimmte Szenarien am grünen Tisch einfach durchgedacht. So eine Planbesprechung ist relativ einfach umzusetzen und eignet sich z.b. sehr gut um einen neuen Plan erstmals im Trockentraining zu testen. Es gibt einen relativ geringen Stresslevel, damit auch eher geringe Emotionalität. Und das führt dazu, dass die Lernergebnisse in der Regel relativ bereitwillig angenommen werden.

Die nächste Übungsart wäre die Stabsübung. Da wird vor allem die Zusammenarbeit im Krisenstab geübt. Der Schwerpunkt liegt also auf der strategischen Komponente des Krisenmanagements. Besonders wichtig bei dieser Art von Übungen: Es braucht eine Übungsleitung, die sehr realistisch einschätzen kann, was die Entscheidungen des Krisenstabs im Realfall wirklich bewirken würden. Und zwar – vor allem wenn es nicht die allererste derartige Übung ist – nicht nur wie sich die Entscheidungen auswirken sollten, sondern wie sie sich wirklich auswirken würden.

Das heißt, ab hier ist es wichtig, dass seitens der Übungsleitung der sogenannte „Human Factor“ mit berücksichtigt wird. Es bringt überhaupt nichts, wenn wir bei Übungen immer eine heile, perfekte Welt annehmen bei der alle alles richtig verstehen und perfekt umsetzen. Es muss auch der Umgang mit Missverständnissen und Fehlverhalten geübt werden.

Ja, dann gibt’s die Kommunikations- und Alarmierungsübungen. Eine sehr wichtige, oft für den gesamten weiteren Verlauf entscheidende Phase im Krisenmanagement ist die initiale Phase, in der alarmiert, kommuniziert und eskaliert werden muss. Die Erfahrung zeigt, dass das häufig zögerlich abläuft. Außerdem werden hier bei der Planung sehr oft völlig unrealistisch Annahmen getroffen, Konkret habe ich es schon oft erlebt, dass eine Person zehn weitere Personen telefonisch alarmieren sollte und dafür wurden dann maximal drei Minuten eingeplant. Das funktioniert in der Regel nicht so. Mein dringender Rat: Bei derartigen Kommunikations- und Alarmierungsübungen müssen alle eMails wirklich geschrieben und abgesendet, alle Telefonate wirklich geführt werden, dann sind die Ergebnisse valide. Es können natürlich eigene Mailadressem und spezielle Telefonnummern für die Übung eingeführt bzw angegeben werden. Aber der Aufwand muss realistisch simuliert werden. Und nicht: „So, jetzt rufe ich den X an und der sagt, er kommt“ und das war’s schon. So schnell läuft ein echtes Telefonat nicht.

Dann kommen wir zur Übungsart der Simulation von Szenarien. Hier wird ein Szenario möglichst realitätsnah dargestellt. Dazu werden, wenn irgendwie möglich, eigene Darsteller eingesetzt. Es werden z.b. Medien simuliert. Das kann von vorbereiteten Fake-Pressemeldungen bis hin zu fingierten, vorproduzierten Nachrichtensendungen usw. gehen. Solche Übungen bedeuten naturgemäß einen größeren Aufwand in der Vorbereitung. Und vor diesem Aufwand scheuen sich viele Organisationen und Unternehmen oft. Aber z.b. die CEN/TS 17091 unterstreicht die Bedeutung von Simulationen dahingehend, das echte Krisen zwar eine hohe Auswirkung, aber eine geringe Häufigkeit haben. Und daher ohne Simulationen die verantwortlichen Personen nie über ausreichend Erfahrungen verfügen könnten.

Will man kompetentes und souveränes Krisenmanagement, dann kommt man aus meiner Sicht an Simulationsübungen einfach nicht vorbei. Was ich dabei für besonders wichtig halte: Die Darsteller, die das Szenario spielen, das Szenario eben den Übenden darstellen, näher bringen – die müssen sehr gut gebrieft werden. Sie müssen wissen: Was wird von Ihnen erwartet? Wie sollen sie sich verhalten? Welche offensichtlichen Fehler sollen sie begehen oder eben nicht begehen? Wichtig aus meiner Erfahrung: Die Darsteller müssen ganz klare Anweisungen haben. Und sie müssen ein professionelles Verständnis ihrer Aufgabe haben. Ich habe schon einige Male erlebt, dass Darsteller aus purem Übermut begonnen haben, eigene Handlungsstränge spontan zu erfinden. Und das kann unter Umständen den Erfolg einer Übung massiv gefährden. Also: Den Darstellern eine klare Handlungsanweisung gehen und sicherstellen, dass sie nichts dazu erfinden.

Die neunte Übungsform ist im Grunde auch eine Simulationsübung – es geht um die sogennante Ernstfall- oder VollübungDabei wird allerdings ein gesamtes Unternehmen, eine gesamte Organisation beübt, und üblicherweise sogar unter Einbeziehung von externen Kräften, wie Einsatzorganisationen oder Behörden geübt. So etwas kann in gewissen Fällen sogar vorgeschrieben sein. Jedenfalls wird so eine Übung alle Ebenen des Krisenmanagements mit einschließen: Also vom Krisenstab bis hin zu den operativen Notfallteams. Daher werden solche Übungen auch eher selten durchgeführt. Außerdem wird oft damit argumentiert, dass es nicht möglich ist, das Gesamtunternehmen/die gesamte Organisation eine gewisse Zeit aus dem operativen Geschäft herauszunehmen und zu üben.

Aus meiner Sicht wäre es sehr empfehlenswert zumindest alle zwei bis drei Jahre so eine Vollübung durchzuführen, vor allem natürlich, wenn es um Hochrisikobereiche geht. Ansonsten kann man das durchaus auch durch geschickt geplante Simulationen „tranchieren“. Das heißt: Über mehrere Termine verteilt mehrere einzelne kleine Simulationsübung machen. Wenn die gut aufeinander abgestimmt sind, dann kann das durchaus ein Gesamtbild für die gesamte Organisation, das gesamte Unternehmen bringen.

Das war die Unterscheidung der Übungen nach Umfang und Zielgruppe. Jetzt gibt’s eben noch diese zweite Möglichkeit der Differenzierung nach dem Übungszweck. Hier unterscheide ich in drei verschiedene Übungsarten, einer mal die sogenannte „Show-Übung“: Es geht darum, jemanden – meist externen Interessensgruppen – die eigene Leistungsfähigkeit zu demonstrieren. Hier wird üblicherweise nur das geübt, was schon sehr gut gekonnt wird. Das heißt, es gibt keinen bis wenig Lerneffekt. Vor allem, weil bei leichten Abweichungen vom Soll meist von der Übungsleitung sofort eingegriffen wird, damit den Übenden ja kein Fehler passiert, Damit kann so eine Übung dazu führen, dass sich die beteiligten Personen viel zu sicher fühlen. Perfektion wird quasi vorgegaukelt.

Die wichtigste Form wäre die wirkliche Lern-Übung: Es wird zuvor Erlerntes konkret angewendet, und dadurch vertieft. Dabei dürfen und werden Fehler passieren. Diese Fehler zeigen zum Beispiel, dass die Pläne noch nicht ausreichend bekannt sind. Oder vielleicht unverständlich formuliert sind. Das Personen mit den an sie gestellten Anforderungen überfordert sind – das muss nicht die Schuld dieser Person sein, das kann auch in einer überzogenen Erwartungshaltung der Planenden begründet sein. Auf jedenfall ermöglichen Fehler den Übenden und der gesamten Organisation zu lernen. Und genauso müssen sie auch behandelt werden. Dafür braucht es letztendlich auch eine sogenannte No-Blame-Culture, aber über die werde ich vielleicht eine eigene Episode gestalten. Jetzt nur soviel: Es muss im Team eine Kultur herrschen, bei der nicht derjenige gesteinigt wird, der einen Fehler begeht oder aufzeigt, sondern gemeinsam nach einer Übung daran gearbeitet wird, besser zu werden. Was durchaus mit einschließen kann, dass vielleicht Einzelpersonen konkrete Nachschulungen oder Trainings brauchen.

Und dann gibt’s natürlich auch noch die Möglichkeit eine übung als eine Art Audit, Zertifizierung, Überprüfung zu machen. Dabei wird in der Regel ein sehr strikter Übungsablauf vorgegeben sein. Ob die Übenden sich damit leicht tun oder schwer hat dann meist keine Auswirkungen auf den Übungsablauf. Es wird auch durchaus in Kauf genommen, dass die Übenden scheitern, auch wenn das womöglich negative Auswirkungen auf die zukünftige Bereitschaft für Übungen hat. Aber hier geht es nicht primär um die Weiterentwicklung eines Teams oder einer Organisation, sondern darum, anhand feststehender Parameter die Leistungsfähigkeit im Krisenmanagement zu überprüfen. Daher sollte so eine Übung erst dann stattfinden, wenn sich das beübte Team sicher ist, bereit zu sein für so eine Übung, für so ein Audit, für so eine Zertifizierung. Oder wenn ein Team sich unbedingt weiterentwickeln möchte, dabei sehr engagiert ist und selbst eine solche Übung zur Feststellung der aktuellen Fähigkeiten möchte. dann kann eine Wiederholung so einer Übung später eine positive Entwicklung aufzeigen. Aber wenn die einzelnen Beteiligten nicht dahinter stehen, oder nach so eine Übung ein eventuelles scheitern als furchtbare Fehlleistung hingestellt wird, dann kann das Engagement für das Krisenmanagement rasch sinken, und zwar nachhaltig sinken. Denn niemand lässt sich gerne vorführen bzw. ins Scheitern drängen.

Wichtig ist: Übungen müssen regelmäßig wiederholt werden. Meine Empfehlung lautet: Wenn Sie sicher sein wollen, dass alles möglichst gut klappt, sollten Sie mindestens einmal jährlich eine Simulationsübung für ihr Team abhalten. Dabei ist es eben auch wichtig, diese Übungen nicht nur als Einzel-Events, sondern als eine Übungsreihe mit einer starken Entwicklungs-Komponente zu sehen: Einerseits vom Einfachen zum Komplexen, aber auch von der entspannten Situation zur Performance unter hoher Belastung.

Simulationen sind also absolut notwendig um die Anwendung der Pläne sicherzustellen. Dabei wird häufig diskutiert: Bringen unangekündigte Übungen überhaupt etwas? Da weiß doch jeder vorher Bescheid und liest sich noch mal alles durch. Wenn wirklich was passiert, werden wir aber alle kalt erwischt! Ja, klare Aussage: Ja, es bringt vor allem am Anfang etwas. Gerade dann, wenn die handelnden Personen noch nicht so hundertprozentig sicher in der Anwendung des Krisenmanagementplans sind, dann ist es gut wenn sie sich den vor der Übung noch mal durchlesen und in Erinnerung rufen. Durch die Übung selbst wird dann alles verinnerlicht und die Inhalte werden besser verstanden, besser gemerkt. Eine unangekündigte Übung zu dem Zeitpunkt, wo die Abläufe noch nicht beherrscht werden, kann sehr schnell zu einem katastrophalen Scheitern führen. Mit dem Ergebnis, dass die beübten Menschen eine innerliche Ablehnung gegen das Thema entwickeln und sich Glaubenssätze wie „Das geht nicht“ entwickeln. Häufig werden in so einem Fall dann auch die Evaluationsergebnisse verleugnet, ein positiver Lerneffekt bleibt dann aus.

Daher ruhig mit angekündigten Übungen anfangen. Wenn die Beübten eine gewisse Sicherheit erlangt haben, dann zu unangekündigte Übungen übergehen. Meine persönliche Erfahrung: Wenn man das so macht, also mit angekündigten Übungen starten und die Anforderungen sukzessive steigern, dann kommt der Punkt von selber, wo die Beübten ansprechen: „Wir wollen einmal unangekündigt gefordert werden!“ Und das ist natürlich das Optimum: Wenn die Übungsteilnehmer selbst eine Steigerung der Anforderungen wollen und diese verlangen.

Ein zweiter Punkt, der häufig ins Spiel gebracht wird: Die Übenden wissen ja, dass es nur eine Übung ist. Damit kann der Stress nie so groß wie im Ernstfall sein. Nun, es stimmt, dass die Übenden, wissen, dass es sich nur meine Übung handelt. Es braucht daher für die Vorbereitung und für die Übungsleitung eine erfahrene Person, die durch gezielte Maßnahmen den Stress-Level der Übenden erhöhen oder senken kann. So kommt es auch bei einer Übung zur Verknüpfung von Emotion und Wissen. Auch wenn es nur eine Übung ist, das funktioniert.

Werfen wir jetzt noch gemeinsam einen Blick auf Vorbereitung und Umsetzung eine Übung. Die optimale Ausprägung wäre: Es gibt in einer Organisation für einen längeren Zeitraum ein Übungshandbuch, dann auf bestimmte Zeitabschnitte eine Übungsplanung, pro Übung dann Übungskonzept und Übungsdrehbuch. Das ist natürlich relativ umfangreich, das kann auch je nach Größe der Organisation bzw dem Umfang der Übungsvorhaben vereinfacht werden. In so einem Übungshandbuch würden Dinge drin stehen wie die strategische Bedeutung von Übungen, die Häufigkeit, was konkret getestet oder beübt werden soll (geht’s mehr um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Mitarbeiter, mehr um die Effizienz der Abläufe), wie sollen Schnittstellen zum operativen Tagesgeschäft aussehen, wie werden Übungen dokumentiert und ausgewertet, und so weiter. Bei der Übungsplanung wird es darum gehen, die geplanten Übungen idealerweise über einige Jahre aufeinander abzustimmen, die Szenarien abzustimmen, Komplexität und Stressfaktor aufeinander abzustimmen.

Für die einzelne Übung gibt’s dann einerseits das Konzept im Vorhinein, das im Regelfall vorher noch abgestimmten werden muss. Das sind Dinge wie: Wie heißt die Übung, wann findet die statt, was für eine Übung ist es, welche Ziele verfolgt diese Übung, welches Szenario wird eingesetzt. Das Wichtigste aus meiner Erfahrung dabei. das sind die Ziele, die Zieldefinition. Häufig werden Übungen einfach gemacht, weil es notwendig ist, weil sie gebraucht werden, weil sie vorgeschrieben sind. Aber es braucht für jede Übung konkrete Ziele. Hier gilt: Weniger ist mehr. Wenn der Zielkatalog – was ich auch schon erlebt habe – mehrere A4 Seiten lang ist, dann es ist unrealistisch, punktgenau üben zu können und klare Erfahrungswerte, klare Lessons Learned aus der Übung ziehen zu können.

Ja, und dann – ganz wichtig für die Abwicklung der Übung selber ist natürlich das Übungsdrehbuch. In dem Übungsdrehbuch steht drinnen: Wann geschieht was, von wem wird was transportiert, was gespielt, welche Hilfsmittel braucht es, welche Ressourcen werden gebraucht. Und ganz wichtig: Was ist die erwartete Reaktion der Übenden? Was wäre die korrekte bzw. die geplante Reaktion? Und: In so einem Übungsdrehbuch werden auch sogenannte Einspielungen definiert. Das sind Drehbuch-Elemente, die von der Übungsleitung jederzeit gestartet werden können.

Wozu braucht man sowas? Nun, einerseits um den Stress der Übenden zu managen. Ich kann durch so eine Einspielung den Stress-Level erhöhen, z.b. durch eine Verschärfung der Lage: Es gibt einen zusätzlichen Schadensfall, gewisse Ressourcen fallen aus. Ich kann den Stress-Level aber auch senken. Zum Beispiel durch eine glückliche Fügung, zusätzliche Ressourcen werden auf einmal verfügbar, etc.

Ja, und dann kann es natürlich passieren, dass sich die Übenden anders entscheiden in einer gewissen Situation als geplant war, als man bei der Vorbereitung der Übung angenommen hat. Und wenn so eine Entscheidung der Übenden sehr unerwartet ausgefallen ist, gibt es zwei Möglichkeiten wieder in den gewünschten Übungsverlauf zurückzukommen: Das eine, was sehr häufig gemacht wird: Man kann während eines Time-Outs erklären, dass ab jetzt von einer anderen Entscheidung ausgegangen wird. Das wird für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Übung natürlich sehr künstlich wirken, das Engagement üblicherweise reduzieren. Konkret, Beispiel: Die Übenden haben sich entschieden, ein Gebäude zu evakuieren. Das passt aber nicht in den weiteren Übungsablauf, und daher unterbricht die Übungsleitung und sagt: „Gut, wir gehen ab jetzt davon aus, ihr habt euch anders entschieden.“ Ja, das wird in den Köpfen der Übenden nicht harmonisch auflösbar sein. Aber es wird immer wieder gemacht. Ich würde das nur im äußersten Notfall empfehlen, wenn die Übung anders gar nicht mehr weitergeführt dann könnte. Eine elegantere Möglichkeit ist: Man zwingt sozusagen die Übenden durch eine Einspielung – z.B. ein weiteres externes Ereignis – dazu, ihre ursprünglich gefasste Entscheidung wieder fallen zu lassen und sich zur gewünschten/erwünschten/geplanten Reaktion hin zu entwickeln. Das fühlt sich wesentlich harmonischer an (wenn die Einspielung nicht haarsträubend surreal ist) und liefert wesentlich bessere Lernergebnisse.

Für dieses Drehbuch, für dieses Übungsdrehbuch braucht es einen Autor bzw ein Autorenteam und ein Vorbereitungsteam. Je nach Übungsgöße und Aufwand wie gesagt einzelne Personen oder ganze Teams. Die müssen natürlich einerseits die Krisenmanagementpläne sehr gut kennen und andererseits sehr erfahren in der Dynamik solcher Übungen sein.

Wenn nun eine übung gestartet wird, was gilt es während einer Übung besonders zu beachten? Aus meiner Sicht das Allerwichtigste: Die sogenannte Rollensicherheit. Optimal wäre eine Aufteilung in Übungsleitung, Protokollanten, Beobachter bzw. Evaluierer, Darsteller. und natürlich die übenden Personen. Die Übungsleitung, die überwacht und steuert das Szenario, arbeitet das Drehbuch ab, beschleunigt, verlangsamt, startet Einspielungen, etc. Diese Übungsleitung braucht einerseits eine genaue Kenntnis der notwendigen möglichen und erwarteten Reaktionen der Übenden, was nicht unbedingt alles deckungsgleich sein muss. Andererseits – vor allem bei Simulationen oder bei Vollübungen – viel Erfahrung mit Auswirkung von Stress. Die Teilnehmer, die Übenden, die dürfen nicht unterfordert, im Idealfall aber auch nicht überfordert sein.

Das Team der Protokollanten ist verantwortlich für eine detaillierte Erfassung der Übungsabläufe. Dafür können je nach Komplexität und Umfang auch mehrere Personen verantwortlich oder benötigt werden. Sehr wertvoll können auch Video und Fotoaufnahme für die spätere Auswertung sein. Wichtig dabei ist nur: Das muss im Vorhinein kommuniziert und rechtlich abgesichert sein. Und: Die Aufnahmen müssen sehr sensibel behandelt werden. Auf keinen Fall dürfen die dann irgendwo auftauchen, wo sie Übende unter besonderer Belastung zeigen und so eventuell negative Auswirkungen haben können.

Bei den Beobachtern und Evaluierern gibt prinzipiell zwei Gruppen. Zum einen könnten das Personen aus anderen Abteilungen oder anderen Unternehmen sein, zum Beispiel als aktive Networking-Maßnahme. Wichtig dabei ist, dass die Übung nicht durch zu viele Beobachter zu einer Show-Übung wird. Dass man keine Lernerfahrungen mehr zulässt, weil man gegenüber den Beobachtern unbedingt ein perfektes Bild darstellen möchte. Die zweite Gruppe an Beobachtern wären die Fachbeobachter oder Evaluierer. Diese beobachten die Übung und geben danach ein fachliches Statement für den Bericht ab.

Natürlich, wichtige Gruppe, die Szenariendarsteller. Über die Wichtigkeit des genauen Briefings habe ich bereits gesprochen. Hier noch ein weiterer Punkt aus meiner Erfahrung: Es braucht auch ganz klare Regeln hinsichtlich der Sichtbarkeit der Darsteller. Konkret: Wenn ein Darsteller gerade nicht aktiv ist, dann muss sie oder er für die Übenden unsichtbar sein. Darsteller, die plötzlich als zusätzliche Beobachter auftauchen -wenn sie einfach sehen wollen, was gerade abgeht – können das Team der Übenden ziemlich durcheinanderbringen.

Also sehr wichtig ist eine absolute Rollenklarheit: Jede Person muss während der Übung jederzeit wissen, wer zu welcher Personengruppe gehört. Daher ist es unbedingt notwendig, Übungsleitung, Protokollanten und Beobachter deutlich so zu kennzeichnen, dass sie für das übende Team als solche sofort und eben jederzeit erkennbar sind. Außerdem ist darauf zu achten, dass die Durchführung der Übung nicht irgendwo durch eine Anhäufung von Beobachtern behindert wird. Also z.B., dass sich in ein Besprechungsraum zusätzlich zu sieben übenden Sitzungsteilnehmer noch zwölf Beobachter befinden. Das kann leicht zu irregulären Ergebnissen führen.

Dann kommt die Evaluierung der Übung, der Simulation. Ganz wichtig: Ohne Evaluierung und Lessons Learned Ist eine Übung absolut sinnlos. Sehr oft werden Übungen aber tatsächlich nicht nachbearbeitet – oder nicht wirklich nachbearbeitet. Es erfolgt danach das kollektive Schulterklopfen und ein Abhaken des notwendigen Übels: „OK, jährliche Übung ist erledigt!“ Aber nur wenn eine Übung auch wirklich aufgearbeitet wird und mögliche Entwicklungspotenziale festgestellt werden, bringt das das Team auch wirklich weiter. Solche Lessons-Learned kann es auf jeder Ebene geben: Von der notwendigen Schulung für einzelne Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter, über Anpassungen oder notwendige Veränderungen bestehender Pläne, bis hin zu Auswirkungen für die alltäglichen Prozesse.

Im Prinzip kann man sagen: Wenn eine Krisenmanagement-Übung keine neuen Erkenntnisse erbracht hat, dann war sie schlecht geplant.

Wie man nun eine Übung oder eine tatsächliche Krisenbewältigung konkret evaluiert und Lehren daraus zieht, das wird das Thema meiner nächsten Podcast-Episode sein.

Ja, soweit für heute zum Thema Übungen und Simulationen. Wenn sie etwas nachlesen wollen, dann finden Sie Shownotes, ein Transkript und weitere wertvolle Infos auf meiner Webseite krisenmeisterei.at. Dort können Sie auch gerne meinen monatlichen Newsletter abonnieren.

Wenn Sie besondere Wünsche oder Anregungen haben, würde ich mich sehr über eine eMail freuen. Die eMail-Adresse ist: podcast@krisenmeisterei.at.

Das war’s für heute. Ich bin Thomas Prinz von krisenmeisterei.at.
Vielen Dank fürs Zuhören und auch Wiedermeistern bei der nächsten Folge.


Wenn sie Wünsche oder Anregungen haben, freue ich mich wie immer über eine Email: podcast@krisenmeisterei.at

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