Episode 114: „Hoffentlich merkt’s keiner!“ – Transkript

Hallo und herzlich willkommen zur 114. Folge meines Podcasts “Krisenmeisterei”. Ich bin Thomas Prinz. Und in diesem Podcast zeige ich Ihnen, wie Sie als Führungskraft auch in den schwierigsten Momenten einen kühlen Kopf bewahren, souverän entscheiden und Ihr Team sicher durch jede Krise führen.
 
Heute geht es um die Unfehlbarkeit von Krisenmanagern. Die gibt es nämlich nicht. Auch wenn wir das gerne hätten. Und auch, wenn uns das unzählige Kinofilme suggerieren. Ja, man sollte es nicht glauben: Auch Notfall- oder Krisenmanager sind nur Menschen. Und als solche kann es auch ihnen passieren, dass sie mittendrin die Übersicht verlieren. Wobei natürlich Ausbildung, Training und Übungen helfen, dass das möglichst selten der Fall ist. Aber passieren kann es. Und genau davor fürchten sich so manche Notfall- oder Krisenmanager. Was, wenn ich mitten in einer heißen Phase plötzlich selber den Überblick verliere? Wie komme ich wieder zurück in die Spur? Wer oder was hilft mir da?
 
Nun, zu aller erst gilt es zu akzeptieren, dass wir alle “auch nur Menschen” sind. Unfehlbarkeit gibt es nicht. Also: Ja, es können und werden Fehler passieren. Wir können und werden viel tun, damit das möglichst selten der Fall ist. Aber zu 100% ausschließen kann man das einfach nicht. Daher ist es wichtig, dieses Thema nicht zu tabuisieren. Wir dürfen, können und sollen sogar darüber reden und uns damit auseinandersetzen, was passieren kann. Dass auch wir einmal nicht so funktionieren, wie wir das selbst gerne hätten oder es von uns erwartet wird. Das Mantra “Alle verlassen sich auf mich” kann zu einer extremen Bürde werden. Vor allem, wenn ich es so stehen lasse. Wenn mein eigenes Bild vom Notfall- oder Krisenmanagement so aussieht: “Da ist ein furchtbares Problem, und alle warten jetzt darauf, dass ich die Lösung habe und sage, was genau zu tun ist. Denn es verlassen sich ja alle auch mich.” Das bedeutet dann womöglich auch: “Außer mir sieht niemand eine Notwendigkeit, selbst vorbereitet und reaktionsbereit zu sein. Denn ich bin ja da.”
 
Also, dass so eine Einstellung einem den kalten Schauer über den Rücken jagen kann, das braucht einen nicht zu verwundern. Und sollte es irgendwo auch wirklich so sein, so muss man das schnellstens ändern. Denn: Der Satz muss so lauten: “Alle verlassen sich auf mich UND sind deshalb bereit mir bei allen notwendigen Entscheidungen zu helfen und mich zu unterstützen.” Der Krisenmanager als einzelne und alleinige Hirnzelle einer ansonsten amorphen Organisation die auf exakte Anweisungen wartet – das wird und kann nicht funktionieren. Leider gibt es das aber mitunter wirklich. Nämlich, dass sich eine Organisation, ein Unternehmen oder eine Behörde darauf verlässt, dass es EINE bestimmte Person gibt, die im Notfall genau weiß was zu tun ist und damit schon irgendwie alles richten wird können. Ich würde das so formulieren: Eine derartige Organisation ist in Wirklichkeit schon in der Krise lange bevor noch irgendein disruptives Ereignis auftritt – sie weiß es nur noch nicht. Eine krisenhafte Situation “vollzieht” dann quasi nur noch das, was lange zuvor bereits aufgebaut wurde: Nämlich die organisationale Hilflosigkeit.
 
Aber zurück zu unserem positiven Bild: Als Notfall- oder Krisenmanager wissen wir, dass wir die letzte Entscheidungsverantwortung tragen. Wir wissen aber auch, dass wir das auf Basis der Arbeit unseres Teams tun. Niemand braucht oder soll Entscheidungen quasi im luftleeren Raum treffen. Jede und jeder in meinem Team trägt in vielfacher Weise zur Krisenbewältigung bei, sei es durch Einbringen von Informationen über die aktuelle Lage oder sei es durch aktive Kompetenzen bei der konkreten Krisenreaktion. Als Krisenmanager ist es meine Aufgabe, dass alles zu nutzen und zusammenzuführen, damit wir optimal auf die Krise reagieren können.
 
Was mache ich jetzt aber konkret, wenn bei mir einmal der sprichwörtliche Faden reißt und ich plötzlich keinen Überblick mehr habe?
 
Die wichtigste Regel: Das bitte nicht verdrängen, überspielen oder ignorieren. Fakt ist: Sowas kann passieren. Fakt ist auch: Das kann in weiterer Folge zu Fehlentscheidungen oder Eskalationen führen. Und letztendlich merkt es mein Team dann irgendwann sowieso – dann ist aber womöglich das Vertrauen in mich bereits beschädigt.
Also, wie gehe ich konkret vor?
 
Zu aller erst sollte ich darauf achten, dass ich ein derartiges Problem möglichst frühzeitig erkenne. Es gilt also, meine Selbstwahrnehmung zu schärfen. Lebe ich noch in der tatsächlichen Lage oder bin ich schon in meine eigene kleine Welt abgedriftet, die nicht mehr wirklich der Realität entspricht? Am besten helfen hier Reflektionstechniken: Immer, wenn ich ein wenig Zeit zum Verschnaufen habe, sollte ich die konkrete Lage durchgehen, z.B. um zu checken, welche der Führungsgrundsätze ich mit meinen Planungen und Umsetzungen noch befolgen kann und wo es u.U. bereits eng zu werden droht.
 
Wann auch immer ich feststelle: Da gibt es zumindest eine Lücke – also: so ganz komplett ist der Überblick nicht mehr – dann drücke ich am Besten sofort einen imaginären “Pause-Knopf”. Es wäre jetzt fatal, in Panik zu verfallen und dann womöglich mit blindem Aktionismus zu reagieren. Ich stelle fest, ich bin gerade etwas neben der Spur. OK. Wäre schön, wenn es nicht passiert wäre, aber es ist passiert. Und das ist etwas, was JEDEM passieren kann und – wenn man ehrlich ist – jedem irgendwann auch schon mal wirklich passiert ist oder vielleicht auch erst einmal passieren wird. Also: Es ist normal.
 
Das erste, was ich jetzt einmal mache ist: Ruhe finden. Ein paar tiefe Atemzüge können hier z.B. helfen. Wir sich hier etwas mehr vertiefen möchte: In meiner Podcast-Folge “Die ersten 60 Sekunden” habe ich da einige relevante Tipps für Sie zusammengestellt.
 
Und dann fordere ich aktiv Unterstützung von meinem Team ein. Und das geht ganz einfach. Im besten Fall habe ich solche Stopps bereits bei Training und Übungen eingeführt. Im Crew Ressource Management nennt man sowas “10 for 10” – sich 10 Sekunden Zeit nehmen um dann für die nächsten 10 Minuten perfekt aufgestellt zu sein. Formulierungen, wie “Ich brauche kurz einen Überblick” oder “Lassen Sie uns die Lage ordnen” können hier sozusagen “Opener” sein, vor allem, wenn ich bezüglich wichtiger Lagedetails sowas wie ein Blackout habe.
 
Wenn ich mir aber z.B. plötzlich nicht mehr sicher bin, ob ich die Lage auch wirklich richtig beurteile, dann kann ich Fragen stellen, wie: “Wie sehen Sie die Lage?” oder “Habe ich etwas übersehen?”. Wenn Sie auch sonst die Kompetenzen und Ressourcen Ihres Teams nutzen, dann wird niemand etwas an solchen Aussagen auszusetzen haben. Komisch wirkt sowas nur, wenn Sie ansonsten immer einen auf “unfehlbaren Diktator” gemacht haben und dann, eines Tages, plötzlich und ohne Vorwarnung andere um ihre Meinung fragen. Aber so ein Führungsstil ist ohnehin nicht zu empfehlen – nicht nur im Notfall- oder Krisenmanagement.
 
Nutzen Sie also die Kompetenzen Ihres Teams – gemeinsam werden Sie im Regelfall noch bessere Lösungen finden als im Alleingang. Das gilt natürlich ganz besonders dann, wenn Sie einen Krisenstab im Einsatz haben. Aber in JEGLICHER Teamkonstellation ist das möglich – man muss es nur zulassen und in das eigene Krisenmanagement einbauen.
 
Wichtig dafür, dass das dann auch gut funktioniert, ist aber vor allem auch, dass sie bzw. die Unternehmensführung es im Vorfeld geschafft haben, ein Klima der psychologischen Sicherheit zu entwickeln. Nur wenn sich Team-Mitglieder trauen ohne Angst vor Repressalien Unangenehmes aus- oder Unsicherheiten anzusprechen werden sie das auch tun. Oder anders gesagt: Wenn die Mitglieder Ihres Teams Angst davor haben, wie auf unangenehme Dinge reagiert wird, dann wird man Sie vermutlich eher selber draufkommen lassen anstatt Sie frühzeitig zu informieren oder zu warnen. Daher ist psychologische Sicherheit auch so wichtig. Die muss man aber im Vorhinein und stetig aufbauen und pflegen. Leider treten auch 2025 noch viele Unternehmen und Organisationen dieses Prinzip mit beiden Füssen. Die Rechnung dafür wird mit Sicherheit irgendwann präsentiert. Aber dann ist es in der Regel bereits zu spät.
 
Zurück zu unserem eigentlichen Problem: Wir sind Notfall- oder Krisenmanager und stellen plötzlich fest, dass wir den Überblick verloren haben. Neben dem aktiven Einfordern von Unterstützung durch das Team gibt es noch zwei Dinge die uns jetzt helfen können: Das eine sind Dokumentation und Lagedarstellung, das andere sind gute Checklisten.
 
Fangen wir bei den Checklisten an: Ich habe ja schon einmal eine eigene Podcast-Folge über Checklisten gemacht. Da bin ich auf alle Vor- und Nachteile von Checklisten näher eingegangen. Ein Vorteil ist natürlich, dass mir so eine Checkliste beim Navigieren durch eine Krisensituation helfen kann. Dafür ist es wichtig, gute und passende Checklisten vorbereitet zu haben. Natürlich kann man nicht alle Konstellationen und Eventualitäten in Checklisten vorhersehen. Aber man kann auch sogenannte generische Checklisten erstellen. Also solche, die nicht auf eine ganz konkrete Situation ausgerichtet sind, sondern die einem helfen, SELBST die aktuelle Situation zu erfassen und notwendige Maßnahmen abzuleiten. Also keine operativen Checklisten sondern Checklisten über das Notfall- und Krisenmanagement als solches. Wir bewegen uns dann quasi auf der Meta-Ebene. Und genau dort verliert man sich in der Praxis eher einmal. Man ist sich zwar vielleicht der konkreten Lage bewusst, steht aber plötzlich auf der Leitung, wie man jetzt konkret weiter agieren sollte. Und da kann es sehr helfen, auch für das Krisenmanagement an sich eine gute Checkliste zu haben. Das kann einem dann recht gut wieder den Weg in die Spur zurück zeigen.
 
Zurück helfen kann einem auch etwas, was leider auch immer wieder vernachlässigt wird: Nämlich gute Dokumentation. Als Notfall- oder Krisenmanager sollte ich alle relevanten Informationen dokumentieren – nicht nur für die Nachwelt oder wenn es später Rückfragen gibt, sondern auch damit ich selbst jederzeit nachlesen kann, was jetzt wirklich wann und wie genau Sache war oder ist. Und dazu gehört auch, dass die aktuelle Lage immer visualisiert wird. Bei Situationen mit geografischem Bezug kann ich das sehr einfach unter Verwendung einer Landkarte machen. In anderen Fällen muss ich andere Bezugssysteme nutzen – das kann z.B. auch eine Darstellung des eigenen Netzwerks sein. Wichtig ist auf JEDEN Fall, dass die Lage nicht nur mittels tabellarischer Daten sondern eben auch grafisch dargestellt wird. So können wir die Informationen viel schneller aufnehmen und verarbeiten. Und wenn ich einmal wirklich den Überblick verliere, dann hilft mir eine Visualisierung viel schneller und effektiver als wenn ich irgendwelche Tabellen durchlesen muss.
 
Denn letztendlich sollten alle Werkzeuge, die ich zum Notfall- oder Krisenmanagement verwende, darauf ausgelegt sein, mich dabei zu unterstützen den Überblick zu erlangen und zu bewahren. Und wenn sie dafür gut geeignet sind, dann helfen sie mir gerade auch dann, wenn ich einmal wirklich kurz ausgestiegen bin.
 
Denn Unsicherheit gehört zum Krisenmanagement dazu. Die Kunst ist es, sich davon nicht unterkriegen zu lassen. Damit so umzugehen, dass man weder Vertrauen noch Zeit noch sonstige wertvolle Ressourcen verliert. Sondern unter Nutzung aller vorhandener Fähigkeiten mit seinem Team rasch wieder zurück in die Spurt zu kommen und letztendlich das Beste für die eigene Organisation, das eigene Unternehmen oder die eigene Behörde zu bewirken.
 
Was man dafür aber auf jeden Fall braucht, das ist Übung: Übung in der Anwendung der Krisenmanagement-Techniken. Übung in der gemeinsamen Krisenbewältigung im Team. Und auch Übung im Umgang mit persönlicher Unsicherheit. Denn kommen wird die ganz sicher irgendwann. Aber das ist normal. Und wenn ich gut vorbereitet bin, dann führt das auch nicht dazu, dass alle mit dem Finger auf mich zeigen. Sondern dazu, dass ich mit meinem Team rasch weiter zielgerichtet und effizient die vorliegende Situation bearbeite. Und so eine gute Chance auf Erfolg habe.
 
Das war’s soweit zum Thema „Hoffentlich merkt’s keiner – wenn Krisenmanager selbst den Überblick verlieren“. Was sind Ihre Erfahrungen? Schreiben Sie mir ein E-Mail an podcast@krisenmeisterei.at oder hinterlassen Sie mir eine Sprachnachricht auf memo.fm/krisenmeisterei. Ich freue mich auf Ihre Gedanken!
Besuchen Sie www.krisenmeisterei.at für Shownotes, Transkripte und weitere wertvolle Infos zum Thema Krisenmanagement. Wenn es Ihnen gefallen hat, dann würde ich mich sehr über ein “Daumen nach oben freuen”. Und falls Sie es noch nicht getan haben: Abonnieren Sie den Podcast, damit Sie in Zukunft keine Folge verpassen.
Denken Sie daran: Der beste Zeitpunkt, sich auf Notfälle oder Krisen vorzubereiten, ist immer heute. Warten Sie nicht, bis es zu spät ist!
 
Das war’s für heute. Ich bin Thomas Prinz von krisenmeisterei.at. Vielen Dank fürs Zuhören und auf Wiedermeistern bei der nächsten Folge!
 

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