Hallo, ich bin Thomas Prinz von krisenmeisterei.at. Ich helfe Führungskräften Krisen souverän und kompetent zu meistern, damit diese nicht zu ihrer persönlichen Tragödie werden.
Heute geht es um die entscheidenden ersten 60 Sekunden direkt nach einem unerwarteten Ereignis. Jene Momente, in denen Ihr Alltag plötzlich durch einen Notfall oder eine Krise unterbrochen wird und Sie sofort in den Krisenmodus umschalten müssen. Das gelingt mal besser, mal schlechter – und natürlich hängt es stark von den eigenen Erfahrungen, aber auch von der Situation ab. Stellen Sie sich vor: Wenn sie als Mitglied einer Einsatzorganisation im Dienst alarmiert werden, dann fühlt sich das natürlich anders an, als wenn Sie in Ihrer Rolle als Facility-Manager plötzlich Verantwortung übernehmen müssen, weil ein Unfall geschehen ist.
Wie gut wir in diesen ersten Momenten reagieren, hängt also stark von unserem persönlichen Rüstzeug ab – aber ebenso von Art, Umfang und Schwere des Ereignisses. Ich vertraue prinzipiell keinem Menschen, der behauptet, in Notfällen oder Krisen nie gestresst zu sein. Jeder hat seine Grenzen. Vielleicht hat jemand schon viel gesehen und kann mit bestimmten Situationen souverän umgehen. Aber für jeden – auch für den Erfahrensten – gibt es immer den einen Punkt, an dem einem kurz die Luft wegbleibt und man denkt: „Warum gerade ich? Warum gerade jetzt?“
Aus meiner Erfahrung als Trainer für hunderte von Einsatzkräften und Notfallmanagern kann ich eines sagen: Es ist wichtig, sich solche Gedanken zu erlauben. Warum? Weil ich viele erlebt habe, die sich für solche Gedanken schuldig gefühlt haben und daran gezweifelt haben, ob sie überhaupt für das Krisenmanagement geeignet sind. Doch sich selbst für eine derartige Reaktion zu verurteilen, das kann schnell in eine Falle führen – man beginnt immer mehr, an der eigenen Eignung zu zweifeln. Und zwar bis sich diese Zweifel verfestigt haben.
Nein, solche Gedanken muss man zulassen. Die dürfen kommen – und dann dürfen sie aber auch wieder gehen. Und zwar möglichst schnell. Denn gerade in den ersten Sekunden und Minuten nach einem disruptiven Ereignis entwickeln sich oft extreme Dynamiken im Kreis der betroffenen Personen. Da gibt es die typischen Fight-, Flight- oder Freeze-Reaktionen: Manche Menschen wollen ganz schnell das Problem bekämpfen, andere wieder wollen sich durch Flucht oder Rückzug in Sicherheit bringen und ganz viele warten einfach, bis irgendjemand die Führung übernimmt. Und dieser Mix bedeutet, dass ohne rasche Koordination sehr schnell ein ziemliches Chaos entstehen wird. Die ersten 60 Sekunden sind also genau die Situation, in der wir einen klar und deutlich agierenden Notfall- und Krisenmanager ganz besonders dringend brauchen. Damit wird es also umso wichtiger, dass dieser seine eigenen Schrecksekunden so kurz wie möglich hält. Aber wie macht man das jetzt konkret?
Dazu schauen wir uns zunächst einmal an, was in uns konkret passiert, wenn wir plötzlich in eine Notfallsituation “hineingeworfen” werden.
Da ist zunächst einmal die eigene Fight-, Flight- oder Freeze-Reaktion. Und da brauchen wir möglichst sofort das Fight. Wie gesagt, der Gedanke an ein Flight darf kurz da sein – aber nur als hilfesuchender Gedanke. Dann müssen wir uns mit vollem Commitment der Bewältigung der Situation widmen, also im “Fight-Modus” sein.
Dabei passieren in unserem Körper einige Dinge. Zunächst einmal werden Adrenalin und Cortisol freigesetzt. Das soll uns beim Kämpfen oder Flüchten helfen. Adrenalin erhöht die Herzfrequenz, steigert die Durchblutung, erweitert die Atemwege und erhöht den Blutzuckerspiegel. Alles wunderbar, um als Höhlenmensch dem Säbelzahntiger davonzulaufen. Aber leider nur beschränkt hilfreich, wenn ich als Notfallmanager tätig bin. Denn da brauche ich eher einen ruhigen Kopf und kein rasendes Herz.
Dazu kommt das sogenannte “Amygdala-Hijacking”: Wenn der Stress zu groß wird (und das kann vor allem bei plötzlichen Ereignissen sehr schnell passieren) übernimmt die Amygdala als Teil des limbischen Systems in unserem Gehirn “das Kommando”. Das Problem dabei: Diese Amygdala löst dann womöglich eine Fight-or-Flight-Reaktion aus, bevor der Hirnteil, der für rationales Denken zuständig ist, nämlich der präfrontale Kortex, überhaupt aktiv werden kann. Das Resultat sind dann sehr impulsive, überstürzte und emotionale Handlungen. Und die sind dann meist eher kontraproduktiv.
Diese Vorgänge in unserem Körper führen auch dazu, dass unsere Wahrnehmungsfähigkeit sowie unsere Merkfähigkeit plötzlich reduziert sein kann – was natürlich gerade für einen Notfall- oder Krisenmanager fatal ist. Man muss ja unbedingt die Lage gut aufnehmen und dann rational entscheiden können. Und dazu muss ich mein Lagebild dauernd vor meinem geistigen Auge halten können.
Wir müssen also unseren akuten Stress unbedingt im Zaum halten könne, wir müssen ihn managen. Nur wie gelingt einem das? Und zwar vor allem dann, wenn man gerade erst mit so einem Ereignis konfrontiert worden ist.
Nun, da gibt es zunächst einmal einige mentale Techniken. Vielen hilft es sich sofort darauf zu fokussieren, was der erste Schritt sein soll. Nur: das kann natürlich nur funktionieren, wenn ich gut vorbereitet bin. Denn wenn ich z.B. nach einem schweren Unfall mich akut kurz überfordert fühle, mich dann zusammenreiße um mich auf die ersten Maßnahmen zu fokussieren – und dann fallen mir keine ein – nun, dann wird mein Notfallmanagement nicht unbedingt schnell zum Fliegen kommen. Ich muss also entweder wirklich gut ausgebildet und trainiert sein oder Hilfsmittel wie Checklisten haben – am besten natürlich beides. So eine Checkliste kann gerade in einer derartigen Situation genau der Strohhalm sein, an dem man sich aus der akuten Stresssituation herauszieht. Indem sie einem besonders zu Beginn eines Notfalls oder einer Krise möglichst klare Schritte zeigt, wie man mit der Bewältigung startet. Und zur Sache mit dem intensiven Training kann ich aus eigener Erfahrung erzählen: Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie für mich vor vielen Jahren das erste Mal ein Patient am Notarztwagen während der Fahrt einen Herzstillstand hatte. Da war auch ganz kurz das Gefühl der enormen Herausforderung da. Aber dann war da sofort der Gedanke: “Das kannst Du, das hast Du oft trainiert.” Und genau so war es dann auch.
Und das bringt mich gleich zur nächsten mentalen Strategie, den sogenannten “positiven Selbstgesprächen”. Dabei handelt es sich um eine Art inneren Dialog, den ich mit mir selbst führe. Man könnte auch sagen, ich spreche mir selbst Mut zu. Wie z.B. “Ich weiß was zu tun ist.” Oder: “Ich schaffe das!” Oder auch, dass ich mir selbst Schritt für Schritt vorsage, was zu tun ist. Und wenn es aufgrund der räumlichen Situation möglich ist, auch durchaus laut. So kann es dem einen oder anderen im Anfangsstress sehr helfen, eine etwaige Checkliste nicht nur leise schnell zu überfliegen sondern sich diese selbst laut vorzulesen. So wird man auch schneller fokussiert und verliert sich nicht womöglich im Hin-und Herspringen zwischen den Zeilen. Ich selbst setze das laute “Mit-Mir-Selbst-Sprechen” übrigens auch dann ein, wenn ich eine herausfordernde Situation managen muss und dabei allein bin, ohne mit einem Assistenten oder einem Stab reflektieren zu können. Gedanken laut auszusprechen hilft einfach oft dabei, noch einmal darüber zu reflektieren bzw. alles klar einzuordnen.
Aber zurück zur Bewältigung der ersten 60 Sekunden: Neben den genannten mentalen Techniken gibt es auch einige Atem- und Körpertechniken, die einem sehr helfen können. Allen voran möchte ich da die Atemtechniken nennen. Denn über meine Atmung kann ich direkten Einfluss auf mein Nervensystem nehmen und so sogar meinen Herzschlag beruhigen. Die einfachste Form wäre es, einfach 3 – 5 mal ruhig und tief ein- und auszuatmen. Ganz einfache Maßnahme, rasche Wirkung. Aber: Die Erfahrung zeigt, dass die Anweisung “ruhig tief ein- und ausatmen” gerade im Anfangsstress einfacher klingt als sie ist. Gerade, wenn etwas sehr herausforderndes passiert ist, tickt unsere innere Uhr etwas anders. Und dann stellt sich schnell die Frage: Was ist tief und ruhig? Und: Wenn ich zwar tief ein- und ausatme, das aber zu schnell und vor allem zu lange mache, dann kann das auch den absolut gegenteiligen Effekt haben. Daher haben findige Köpfe spezielle Atemtechniken entwickelt mit ganz konkreten Anweisungen, wie lange jede Atemphase dauern darf. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Am einfachsten zu merken ist aus meiner Sicht die sogenannte “Box Breathing”-Technik oder “Vier-Ecken-Atmung”. Da atmet man 4 Sekunden lang durch die Nase ein, dann hält man 4 Sekunden den Atem an, atmet 4 Sekunden lang langsam durch den Mund aus und hält dann wieder für 4 Sekunden die Luft an. Das dauert insgesamt – 4 x 4, also: – 16 Sekunden. Und wenn man das 3, 4 mal macht sind wir alles in allem bei rund einer Minute. Und danach ist in der Regel Ihre Herzfrequenz niedriger und das Gehirn besser mit Sauerstoff versorgt – was alles sehr bei den Aufgaben als Notfall- oder Krisenmanager hilft.
Hilfreich sind auch jegliche Entspannungstechniken. Die gute Nachricht: Es gibt sehr viele davon und damit ziemlich sicher für jeden etwas passendes. Die schlechte Nachricht: Damit ich so eine Technik im Akutfall optimal einsetzen kann, muss ich bereits vorher damit vertraut und gut geübt sein. Denn welche Technik ich auch anwende: Wenn ich sie gut beherrsche, dann kann ich mich mit ihrer Hilfe sehr rasch entspannen. Ein Beispiel wäre da die sogenannte “Progressive Muskelentspannung nach Jacobson”. Dabei spannt man gewisse Muskelpartien für ein paar Sekunden stark an und fokussiert sich auf diese Anspannung. Und dann lässt man wieder locker. Das “progressive” dabei ist, dass man auf diese Weise alle Muskelgruppen im Körper, von den Füßen bis zum Kopf, durcharbeitet. Und so entspannt sich der Körper immer mehr. Also, prinzipiell ist das eine Technik, die man auch ohne viel Erfahrung oder Übung einfach anwenden kann. Und es dauert auch nur 5 – 10 Minuten. Trotzdem ist die Technik für Ungeübte im Kontext eines Notfalls oder einer Krise nicht wirklich anwendbar. Stellen Sie sich vor, es passiert in einem Betrieb ein schwerer Unfall und der Notfallmanager, der jetzt alle wichtigen Schritte einleiten sollte, sagt: “Das haben wir gleich!” und legt sich zu aller erst einmal auf den Fußboden um dann alle Muskelgruppen der Reihe nach zu an- und entspannen. Also, ich denke, diese Bild will niemand abgeben.
Und so ist auch hier wieder Vorbereitung und Training entscheidend. Wenn man nämlich im Alltag regelmäßig diese Technik anwendet, dann kann man das Entspannungsgefühl schon sehr schnell auslösen, indem man nur kleine Muskelgruppen an- und entspannt und damit das “Muskelgedächtnis” des gesamten Körpers abruft. Könner dieser Methode machen das mit der Zunge: Indem sie diese für ein paar Sekunden gegen den Gaumen pressen und dann wieder locker lassen können sie sich aktiv entspannen. Eine hervorragende Hilfe, gerade im Stress eines akuten Notfalls. Aber, wie gesagt, auch hier geht es nicht ohne Vorbereitung: Ich kann Muskelgedächtnis nur dort abrufen, wo ich es vorher aufgebaut habe.
Und ähnlich ist es mit so ziemlich allen Entspannungstechniken: Daher empfehle ich immer allen Menschen, die mit der Ausbildung zu irgendeiner Art von Einsatzleiter bzw. Notfall- oder Krisenmanager starten: Lernt eine Entspannungstechnik, welche auch immer. Sie muss zu Euch passen und ihr müsst Euch darauf einlassen können. Und dann wendet sie regelmäßig im Alltag an. Wenn ihr das oft genug macht, dann kommt der Punkt wo ein Entspannungsgefühl sehr schnell aktiviert werden kann. Und das kann einem in der heiklen Situation der ersten 60 Sekunden wirklich sehr helfen.
Damit sind wir wieder einmal, wie so oft, bei meinem absolut wichtigsten Tipp für Notfall- und Krisenmanager angekommen: Vorbereiten, üben, trainieren. Und dann wieder von vorne beginnen. Das gilt für alle Techniken, von A wie Alarmieren über E wie Entspannen, L wie Lagebewußtsein bis hin zu Z wie Zusammenarbeiten. Das alles funktioniert nicht über Spontaneingebungen. Und genau so ist es mit der Bewältigung der ersten 60 Sekunden.
Also:
Erschrecken Sie nicht über sich selbst, wenn der erste Gedanke nicht “Yes, dafür bin ich da!” sondern “Nein, bitte nicht!” ist. Das ist menschlich, das darf so sein. Aber dann fokussieren Sie sich auf die konkret zu setzenden Maßnahmen. Dafür muss ich die aber gut wissen oder – am besten zusätzlich – auf einer Checkliste stehen haben. Zweifeln Sie nicht an sich selbst sondern sagen Sie sich vor, dass sie es schaffen. Reden Sie gerne mit sich selbst. Sprechen Sie sich selbst Mut zu.
Nutzen Sie Ihre Atmung um über das Nervensystem den Herzschlag zu beruhigen und das Gehirn gut zu “belüften”. Und lernen Sie zumindest eine Entspannungstechnik, die sie dann im Ernstfall schnell abrufen können, auch das wird Ihnen enorm helfen, den Stress der ersten 60 Sekunden zu überstehen.
Nutzen Sie Ihre Atmung um über das Nervensystem den Herzschlag zu beruhigen und das Gehirn gut zu “belüften”. Und lernen Sie zumindest eine Entspannungstechnik, die sie dann im Ernstfall schnell abrufen können, auch das wird Ihnen enorm helfen, den Stress der ersten 60 Sekunden zu überstehen.
Und wenn Sie mich fragen, wo Sie anfangen sollen, wenn Sie bereits Notfallmanager sind aber z.B. noch keine Entspannungstechnik beherrschen? Nun, es ist nie zu spät anzufangen. Aber ein ganz praktischer Tipp: Sie haben sicher eine Mappe mit Plänen oder Checklisten. Oder zumindest etwas zum Schreiben, für die Dokumentation. Legen Sie sich da einen kleinen Zettel hinein. Oben auf den Zettel schreiben Sie: “Ich schaffe das!” Und darunter schreiben Sie sich die 4 Schritte der Box-Breathing Technik auf. Und wenn dann etwas passiert und Sie Ihre Unterlagen aufschlagen, dann ist dieser Zettel das erste, was sie sehen. Und wenn Sie bereits alle ihre Unterlagen digital verwenden: Auch da gibt es Möglichkeiten, so ein “Memo an mich” vorzubereiten. Hauptsache, man denkt gleich in den ersten Sekunden daran. Daran, dass man bereit ist, sich aber auch gleich zu Beginn selbst managen muss. Dann klappt das auch mit dem Notfall oder der Krise gleich viel besser.
Soweit für heute zum Thema „Die ersten 60 Sekunden“. Wie sind Ihre Erfahrungen? Schreiben Sie mir ein E-Mail an podcast@krisenmeisterei.at oder hinterlassen Sie mir eine Sprachnachricht auf memo.fm/krisenmeisterei. Ich freue mich auf Ihre Anregungen.
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Und falls Sie es noch nicht getan haben: Vergessen Sie nicht, den Podcast gleich zu abonnieren – dann versäumen Sie auch in Zukunft keine Folge.
Vergessen Sie nie: Der beste Zeitpunkt, sich auf Notfälle oder Krisen vorzubereiten, ist immer heute. Warten Sie nicht, bis es zu spät ist!
Das war’s für heute! Ich bin Thomas Prinz von krisenmeisterei.at – vielen Dank für’s Zuhören und auf Wiedermeistern bei der nächsten Folge!