Hallo, ich bin Thomas Prinz von krisenmeisterei.at. Ich helfe Führungskräften Krisen souverän und kompetent zu meistern, damit diese nicht zu ihrer persönlichen Tragödie werden.
Heute geht es um Innovationsdruck in der Krise. Oder genauer gesagt: Um Situationen, in denen entweder tatsächlich oder auch nur vermeintlich eine krisenhafte Situation nur durch völlig innovative Konzepte bewältigt werden kann. Wenn man sich die Definition einer Krise näher ansieht, könnte man ja eigentlich auch meinen, dass Krisen ausschließlich durch Innovation bewältigt werden können: Wir haben zunächst ein disruptives Ereignis, das den Alltag, die normalen Abläufe massiv unterbrochen hat und unsere Organisation im Wesentlichen sogar existentiell bedroht. Außerdem ist dieses Ereignis entweder nicht vorhergesehen worden oder man hat sich nicht oder zumindest nicht ausreichend vorbereitet – jedenfalls gibt es keine konkreten Notfallpläne für die Bewältigung. Die Situation muss also ad hoc gelöst werden – ich muss mir unmittelbar während der Krise etwas Neues einfallen lassen.
So gesehen wären Krisen ja prinzipiell nur durch Innovation bewältigbar. Es gibt aber auch eine andere Sichtweise: Gerade, wenn der Stress besonders hoch ist, sollte ich auf möglichst bekannte Verfahren setzen. Wenn Menschen unter besonders hohem Druck, eventuell sogar unter großer Angst etwas Schwieriges oder Herausforderndes zum allerersten Mal machen, dann sind die Erfolgschancen auf jeden Fall geringer als wenn sie gewohnte Handlungen setzen. Das spricht nun dafür, auf eine Krise nicht sofort wahllos mit komplett neuen Abläufen zu reagieren sondern bewährte Methoden einzusetzen. Denn letztendlich wollen wir in einer Krisensituation zu allererst einmal akute Gefahren von Leib und Leben abwenden und dann die Situation so rasch wie möglich stabilisieren.
Es gibt also auf jeden Fall zumindest eine Art Spannungsfeld zwischen Krisenmanagement und Innovation. Auf der einen Seite kann Innovation die Voraussetzung für ein “Happy-End” sein, auf der anderen Seite kann Innovation die Operation auch ins absolute Chaos stürzen. Also, wann ist Innovation gut und vor allem auch: Wieviel Innovation ist gut? Meine Antwort darauf – wie so oft: Es kommt darauf an!
Nämlich auf die Umstände, die handelnden Personen und natürlich auch auf die Umsetzung der innovativen Ansätze selber. Schauen wir uns dazu einmal zwei Beispiele an.
2010 sind in Chile 33 Bergleute in einer Mine eingeschlossen worden. Die Rettungsversuche sind relativ bald weltweit verfolgt worden und waren von vielen Herausforderungen geprägt. Letztendlich hat es 69 Tage gedauert, aber es konnten tatsächlich alle 33 eingeschlossenen Personen lebend gerettet werden. Dazu wurden Bohrungen durchgeführt die es ermöglicht haben, dass die Bergleute in eigens konstruierten Rettungskapseln herausgeholt werden konnten. Und dabei war ganz viel Innovation notwendig: Angefangen von der Bohrtechnik, der Konstruktion der Rettungskapseln bis hin zur Vorbereitung der Bergleute selber. Denn auch die wurden mit einbezogen: Sie mussten sich physisch fit halten um auch wirklich in die engen Kapseln zu passen.
Was war aber letztendlich das Erfolgskonzept? Bei diesem Beispiel wurde international zusammengearbeitet – die erfahrensten Spezialisten weltweit wurden einbezogen. Und die haben sich nicht in blinden Aktionismus gestürzt sondern fundiert geplant und – bei allem trotzdem natürlich vorhandenem Zeitdruck – so ruhig wie möglich vorbereitet. Letztendlich konnten die Bergleute sogar in der Hälfte der veranschlagten Zeit herausgeholt werden. Insgesamt ein riesiger Erfolg für alle Beteiligten und ein erfreuliches Beispiel dafür, wie Innovation in einer krisenhaften Situation sogar Leben retten kann.
Innovation in einer Krise kann aber auch scheitern. Ein Beispiel dafür finden wir im selben Jahr, also 2010. Da passierte nämlich auch die Deepwater Horizon-Katstrophe, bei der aus einem Bohrloch im Golf von Mexico letztendlich 800 Millionen Liter Öl über 87 Tage lang ins Meer geströmt sind. – übrigens auch ein erschreckendes Beispiel dafür, wie die Verkettung von mehreren Umständen und Fehlern letztendlich zu einer Katastrophe führen kann. Man spricht hier vom Schweizer-Käse-Modell – mehr darüber können Sie in Folge 71 (“Alles Käse”) meines Podcasts nachhören. Bei der Bewältigung bzw. dem Versuch der Bewältigung gab es ja bekanntlich einige – nenne wir es – “Herausforderungen”, unter anderem auch in der Krisenkommunikation. Aber auch innovative Methoden kamen zum Einsatz. Unter anderem versuchte man die ausströmenden Ölmassen mit der sogenannten “Top Kill”-Methode zu stoppen. Das scheiterte aber.
Über die Gründe für das Scheitern in diesem Fall gibt es verschiedene Ansichten. Was man aber auf jeden Fall auf Basis dieser beiden Beispiele sagen kann:
Zunächst einmal: Auch wenn die Zeit noch so zu drängen scheint dürfen Entscheidungen nicht überhastet getroffen werden. Ich meine damit nicht, dass man sich extra viel Zeit lässt. Auch das habe ich schon erlebt: Dass nämlich Manager gemeint haben, dass sie durch extra langsame und bedächtige Prozesse das Krisenhafte aus der Situation entfernen können. Das funktioniert natürlich überhaupt nicht. Nein, ich meine: Ich muss mir zu jeder Zeit darüber bewusst sein, was ich weiß, welche Ressourcen ich habe und was mit diesen Ressourcen möglich ist. Und auf Basis dieses Wissens kann und muss ich Entscheidungen treffen.
Und damit bin ich wieder einmal bei der Vorbereitung. Denn Ressourcen, das sind nicht einfach nur irgendwelche Gegenstände die bei Bedarf von A nach B gebracht werden. Ressourcen, dass sind in ganz besonderem Ausmaß meine Teams, die im Krisenfall bestimmte Tätigkeiten verrichten sollen. Aber nur, weil das in ihrer Tätigkeitsbeschreibung so drin steht heißt das noch lange nicht, dass das auch funktionieren wird. Das muss also auch geübt und geprobt werden. Nur dann ist die jeweilige Leistung auch halbwegs sicher abrufbar.
Das gleich gilt natürlich auch für die Entscheidungsträger im Krisenmanagement. Auch die müssen wissen, wie sie die Lage einschätzen, was in welcher Situation möglich ist, welche Verfahren welche Risiken mit sich bringen. Auch das muss gelernt und geübt werden.
Was aber, wenn wir jetzt wirklich vor einer Situation stehen, bei der wir alle Erfahrungspfade verlassen müssen und davon überzeugt sind, dass uns nur Innovation wirklich retten kann?
Dann gibt es im Wesentlichen drei Möglichkeiten:
Variante 1: Ich setze alles auf eine Karte und ziehe es einfach sofort durch. Da sind wir im Prinzip bei einer hoch riskanten Wette. Denn wenn der Ansatz wirklich komplett innovativ ist, dann fehlen mir zumindest Erfahrungswerte für die Entscheidung. Und vor allem: Es fehlt mir die Erfahrung bei der Umsetzung, was die Erfolgsaussichten sofort dramatisch reduziert. Letztendlich sind das dann eher Verzweiflungstaten als echtes Krisenmanagement.
Variante 2 wäre, dass ich mir – bei aller gebotenen Eile – die Zeit nehme, den Ansatz durch zu proben und mein Team zumindest im Trockentraining entsprechend vorzubereiten. Das steigert die Erfolgsaussichten natürlich sofort – aber es kostet vor allem eines: Zeit. Und ich rede da nicht nur von irgendwelchen gefährlichen “Special-Ops”-Einsätzen. Im Prinzip kann man sagen: Jeglicher Ablauf, der im Krisenfall plötzlich geändert wird, also plötzlich anders als im Alltag ablaufen soll, ist eine Fehlerquelle die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch wirklich Fehler liefern wird. Wenn ich z.B. will, dass – warum auch immer – die Materialbeschaffung jetzt sofort anders ablaufen soll, ohne Vorbereitung, ohne Übung, einfach nur mit einer E-Mail verkündet, dann kann das gut gehen. Oder eben auch nicht. Um das sorgsam umzusetzen braucht es eben entweder im Vorfeld genaue Planungen und Übungen oder im Anlassfall etwas mehr Zeit für genaue Erklärungen und ev. notwendige Probeläufe.
Was aber, wenn wir diese Zeit nicht haben? Dann sind wir bei Variante 3: Dann sollte man sich umgehend externe Spezialisten holen. Das beginnt schon beim Krisenmanager bzw. beim Krisenstab selbst. Wenn die merken, dass sie mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung nicht weiter kommen, dann sollte nicht “irgendwie weitergewurschtelt” werden. Dann muss man sich einfach sofort einen Experten holen der dem Team hilft, möglichst rasch zu möglichst guten Entscheidungen zu kommen. Und das gleiche gilt für alle Bereiche und alle Teams. Das war letztendlich auch das Erfolgsrezept in Chile: Dass nämlich erfahrene Experten aus der ganzen Welt zum Erfolg beigetragen haben. Es hat insgesamt noch immer unvorstellbar lange gedauert. Also, ich kann und will mir das gar nicht vorstellen, zwei Monate in der Mine eingeschlossen auf Rettung zu warten. Aber letztendlich war es erfolgreich. Schnellschüsse nach zwei Wochen hätten unter Umständen allen das Leben gekostet.
Das heißt, letztendlich sollte Innovation im Krisenmanagement einen hohen Stellenwert haben. Aber, vorbereitet und geübt. Das mag jetzt vielleicht zunächst nach einem Widerspruch klingen. Wenn etwas komplett neu ist, wie kann ich es vorbereiten und üben? Nun, die konkrete Maßnahme an sich nicht. Aber das notwendige “Drumherum”: Wie komme ich überhaupt auf innovative Ansätze? Wie bewerte ich sie? Wie kommuniziere ich sie? Wie bereite ich ihren Einsatz vor? Das alles lässt sich planen und üben.
So sollten Krisenmanager neben ihren Standardverfahren zur Führung, Lagefeststellung, Lagebeurteilung usw. auch unbedingt diverse Kreativtechniken und strategische Tools beherrschen. Ich selbst verwende z.B. sehr intensiv MindMaps für mich persönlich. Aber nehmen wir das Beispiel “Brainstorming”: Von dieser Technik reden viele, aber verhältnismäßig wenige Teams wenden die Technik auch richtig an. Nämlich so, dass wirklich alles genannt werden darf um letztendlich – nach vielleicht etlichen vollkommen unrealistischen oder unmöglichen Ideen – zu wirklich guten und innovativen Ansätzen zu kommen. Zu häufig werden in Brainstorming-Sitzungen – nicht nur im Krisenfall – nur sozial erwünschte Meldungen gemacht. Was bedeutet, dass echte Innovation dabei gar nicht herauskommen kann.
Denn damit wirkliche Innovation geschehen kann braucht es unbedingt psychologische Sicherheit. Nur, wenn sich mein Team auch, bzw. gerade in einem Notfall oder einer Krise traut, alle Ideen zu nennen und nie Angst haben muss, angepflaumt, ausgelacht oder später verfolgt zu werden, nur dann werden auch vollkommen neue Ideen ans Licht kommen.
Und die können mir dann vielleicht wirklich helfen, eine Krise zu bewältigen. Denn Innovation kann da definitiv hilfreich sein. Aber nur, wenn ich sie professionell einsetze. Also nach gründlicher Entscheidung mit entsprechender Vorbereitung und Umsicht. Und wo das nicht möglich ist: Mit externer, fachkompetenter Begleitung oder auch gleich von erfahrenen externen Teams durchgeführt. Dort, wo entweder überhastet gehandelt wird oder entweder aus Kostendruck oder falschem Stolz keine externe Unterstützung in Anspruch genommen wird: Dort werden innovative Krisenreaktionen schnell zur Hochrisiko-Wette – nicht selten sogar mit einem Totalverlust.
Soweit für heute zum Thema „Innovationsdruck in der Krise“. Wie sind Ihre Erfahrungen? Schreiben Sie mir ein E-Mail an podcast@krisenmeisterei.at oder hinterlassen Sie mir eine Sprachnachricht auf memo.fm/krisenmeisterei. Ich freue mich auf Ihre Anregungen.
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Vergessen Sie nie: Der beste Zeitpunkt, sich auf Notfälle oder Krisen vorzubereiten, ist immer heute. Warten Sie nicht, bis es zu spät ist!
Das war’s für heute! Ich bin Thomas Prinz von krisenmeisterei.at – vielen Dank für’s Zuhören und auf Wiedermeistern bei der nächsten Folge!