Episode 104: Zwischen Bytes und Bleistift – Transkript

  1.  
Hallo, ich bin Thomas Prinz von krisenmeisterei.at. Ich helfe Führungskräften Krisen souverän und kompetent zu meistern, damit diese nicht zu ihrer persönlichen Tragödie werden.
 
Heute geht es um das Spannungsfeld zwischen digital und analog. Es gibt ja mittlerweile für so ziemlich alle Tätigkeitsbereiche elektronische Tools und so natürlich auch für das Krisenmanagement. Und einige dieser Tools sind ausgesprochen mächtig und ausgereift. Gleichzeitig gibt es nach wie vor Krisenmanager sowie Berater und Trainer die predigen, Krisenmanagement müsse man ausschließlich mit Papier und Bleistift bewerkstelligen: Nur das sei ausfallsicher und 100%-ig zuverlässig. Und wie so oft, wenn es stark gegensätzliche Meinungen gibt, polarisieren diese zwei Positionen. Da ist dann von der “Papier- und Bleistiftfraktion” zu lesen oder von dem drohenden ultimativen Kontrollverlust beim Einsatz von IT-Tools. Ich sage dann immer: “Jede Verallgemeinerung ist falsch!” (und ja, ich bin mir des Paradoxons in diesem Satz durchaus bewusst!) Aber natürlich hat gerade auch das letzte Wochenende mit den weltweiten, weitreichenden IT-Ausfällen durchaus wieder Öl in die Diskussion gegossen. Und natürlich bin auch ich gefragt worden, wie ich den Einsatz von elektronischen Tools im Krisenmanagement unter diesen aktuellen Gesichtspunkten sehe. Und meine Antwort ist – wie eigentlich immer: “Es kommt darauf an!”
 
Denn es gibt hier nicht ein einfaches “richtig oder falsch”. Papiermethoden haben Vorteile und Nachteile – so wie auch IT-Tools. Setze ich ausschließlich auf das eine, dann beraube ich mich der Stärken der anderen Methode. Ich bin überzeugt davon, dass es 2024 EIGENTLICH keine Frage sein sollte, ob man IT-Tools für das Krisenmanagement einsetzen soll. Gleichzeitig weiß ich aber aus Erfahrung, dass das viele Unternehmen, Organisationen oder Behörden nicht tun sollten, weil sie nicht bereit oder nicht in der Lage sind, die dafür notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Und ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass ein guter Krisenmanager in der Lage sein sollte, auch mit Papier und Bleistift zu arbeiten, wenn es nötig ist. Aber schauen wir uns das alles einmal genauer an.
 
Fangen wir zunächst mit den IT-Tools an. Unabhängig von der konkreten Software bieten diese einige Vorteile. Zunächst einmal kann ich natürlich Informationen wesentlich schneller verteilen und abfragen als das mit der “Papiermethode” möglich wäre. Ich habe also eine raschere Kommunikation und den Vorteil, dass ich die jeweiligen Inhalte sehr exakt nachrecherchieren kann. Aber die beiden wirklichen großen Benefits sind das Vermeiden von Medienbrüchen sowie die Möglichkeit SOPs, Checklisten und ganze Abläufe zu hinterlegen.
 
Schauen wir uns einmal die Sache mit den Medienbrüchen an: Eine der häufigsten Fehlerquellen (nicht nur) im Krisenmanagement ist das unpräzise oder fehlerhafte Weitergeben von Informationen: Man führt ein Telefonat, schreibt sich nicht sofort alles auf und hat dann kurze Zeit später entweder wichtige Details vergessen oder – und das kommt viel öfter vor als man meint – hat eigentlich fehlende Information unbewusst und falsch “ergänzt”. Nun, genau das kann natürlich mit IT-Tools auch passieren. Aber es kann wenigstens alles, was elektronisch daher kommt, 1:1 protokolliert und recherchierbar gemacht werden. Und natürlich gibt es mittlerweile auch Mittel und Wege, analoge Kommunikation digital zu erfassen und zu integrieren. Und alles, was ich jetzt in meinem System habe, kann ich – bei einem guten System – ohne Medienbruch weiterschicken und bearbeiten. Das erhöht nicht nur die Geschwindigkeit sondern auch die Nachvollziehbarkeit, Genauigkeit und die Transparenz – zumindest theoretisch.
 
Und dann kann ich bei entsprechenden Systemen alle geplanten Abläufe und Ressourcen hinterlegen – und das ist natürlich schon ein riesiger Vorteil. Wenn automatisch die richtige Checkliste vorgeschlagen wird und die dann gleich auch mit den aktuell relevanten Daten und Informationen ergänzt wird, dann kann mich ein derartiges Cockpit schon sehr bei der Krisenbewältigung unterstützen. Und zwar derart, dass man eigentlich nicht mehr ohne arbeiten möchte.
 
Wenn da nicht die Sorge um den IT-Ausfall wäre. Und so ganz unberechtigt ist diese Sorge ja nicht – das zeigen gerade auch die letzten Tage wo als KRITIS, also Kritische Infrastruktur, eingestufte Einrichtungen ausfielen – die Auswirkungen davon haben wir alle zumindest in den Medien miterlebt. Und eines ist klar: Wenn meine IT komplett ausfällt, dann wird auch mein digitales Krisenmanagement-Tool nicht mehr so rund laufen. Wobei wir auch hier wieder bei der Sache mit den Verallgemeinerungen wären. Denn natürlich kann man IT-Systeme heutzutage besonders sicher gestalten und Vorkehrungen treffen, damit ein Ausfall extrem unwahrscheinlich wird. Aber – und jetzt kommt’s: Das kostet natürlich Ressourcen und damit Geld. Und das sparen sich manche dann doch. Was aus meiner Sicht jetzt nicht wirklich schlau ist. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass eine Krisensituation nach einem disruptiven Ereignis mit IT-Problemen vergesellschaftet ist, die ist jetzt nicht so wirklich sehr niedrig. Daher ist es meiner Meinung nach eigentlich fahrlässig, die wichtigen Absicherungsschritte NICHT umzusetzen. Aber genau das passiert: Man “gönnt” sich ein Tool um damit zu demonstrieren, dass man gut vorbereitet ist. Aber halt in der “Sparversion”. Daher mein persönlicher Ansatz: IT-Tools sind großartig, aber nur, wenn ich sie auch krisensicher implementiere, mit größtmöglicher Vorsorge für die Verfügbarkeit. Wo das aus finanziellen bzw. wirtschaftlichen Gründen nicht geht oder wo das IT-Team zu schwach dafür aufgestellt ist, dort sollte man sich den Einsatz solcher Tools vielleicht doch noch einmal überlegen.
 
Einen wirklichen NACHTEIL können solche IT-Tools aber auch noch mit sich bringen: Nämlich einen Wissensverlust bei den Mitarbeitern. Natürlich nicht zwangsläufig, aber potentiell. Und zwar dann, wenn zu einem Zeitpunkt X das Wissen über notwendige Abläufe und Prozesse für das Krisenmanagement in das System eingepflegt wird und ab dann nur mehr mit dem System gearbeitet wird, ohne dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Krisenmanagement grundlegende Schulungen und Trainings auf der Meta-Ebene erhalten. Denn wenn in einem guten IT-System alles hinterlegt ist, dann kann ich ja eigentlich alles abarbeiten ohne die dahinterliegenden Prozesse wirklich exakt zu kennen – das System leitet mich. Und das ist ja prinzipiell nicht schlecht. Wenn dann aber plötzlich das System NICHT verfügbar ist, dann kann es brenzlig werden. Denn dann brauche ich Menschen, die wissen, wie Krisenmanagement in diesem Unternehmen, dieser Organisation bzw. dieser Behörde abzulaufen hat.
 
Das heißt: Selbst wenn ich meine Abläufe super integriert und hinterlegt habe darf ich es nie verabsäumen, ausreichend Menschen dahingehend zu trainieren, dass sie das System nicht nur quasi blind bedienen sondern auch wissen, was wie und warum abläuft.
 
Und damit kommen wir zur traditionellen Methode mit Papier und Bleistift. Und ja, es stimmt natürlich, wenn ich davon genug vorrätig habe, dann wird das nie ausfallen. Selbst im längsten Blackout wird das noch funktionieren. Und ich bin mit Papier und Bleistift extrem flexibel – ich bin letztendlich nur an das Format des vorhandenen Papiers und an die verfügbaren Farben meiner Schreibwaren gebunden. Das klingt natürlich extrem ausfallsicher. Und natürlich sind ausgedruckte Checklisten auch bei komplettem IT-Ausfall verfügbar. Aber all das hat auch durchaus Schattenseiten. Denn die hohe Flexibilität lässt natürlich auch zu, dass man vorgesehene Abläufe ignoriert und nach Belieben extemporiert und improvisiert. Und der ausfallsicherste Zettel nützt nichts, wenn man meine Schrift nicht lesen kann. Und das Durchsuchen von handgeschriebenen Einsatzprotokollen geht jetzt auch nicht so rasend schnell von der Hand, vor allem, wenn es wer anderes geschrieben hat.
 
Also, wer der Meinung ist, Papier und Bleistift ist die allein selig machende Methode, der hat vermutlich noch nie eine mehrtägige krisenhafte Situation mit mehreren hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bewältigen müssen. Da schlagen die Nachteile dann voll durch.
 
Aber, ja, wenn die IT ausfällt oder wenn mein Unternehmen kein ausfallsicheres System entsprechend zur Verfügung stellen kann – oder wenn für mein kleines Team ein derartiges hochverfügbares System einfach zu teuer wäre – ja, dann bleibt mir nichts anderes über als die Papiermethode.
 
Wobei ich persönlich es für extrem wichtig halte, dass angehende Krisenmanager unbedingt auch diese Papiermethode lernen und beherrschen. Denn letztendlich geht es bei Krisenmanagement um sogenannte “Meta-Kompetenzen”. Es geht darum, in einer unvorhergesehenen Situation möglichst schnell Lösungswege zu entwickeln und aufzusetzen. Und dazu gehört nun einmal ein gutes Führungsverfahren, eine professionelle Lagefeststellung, eine kompetente Lagebewertung. Dazu gehören das Wissen und die Erfahrung, was Visualisierung bringt und zu leisten im Stande ist. Und ich sollte wissen, wie die Krisenmanagementpläne in meinem Unternehmen aussehen.
 
Ein jederzeit verfügbares IT-Tool kann enorm helfen. Aber es kann auch dazu verführen, sich in einer falschen Sicherheit zu wiegen. Nämlich in der Sicherheit, dass im Fall der Fälle das System einem sowieso genau sagt, wie man sich zu verhalten hat. Ja, in manchen Situationen, speziell in genau vorplanbaren Notfällen, wird das auch so funktionieren. Aber je komplexer eine Situation ist, umso mehr sind die Entscheidungsträger gefragt. Und umso wichtiger wird es, dass man nicht nur ein “Systembediener” sondern ein Experte ist. Wobei natürlich nicht alle in meinem Unternehmen Krisenmanagementexperten sein müssen oder sein können. Und auch das ist letztendlich ein Vorteil von IT-Systemen: Diejenigen, die dem Krisenmanagement zuarbeiten, die können über so ein System relativ nahtlos eingebunden werden. Und so den Prozess des Krisenmanagements unterstützen ohne genau wissen zu müssen, wie dieser abläuft. Das bringt natürlich viele Vorteile mit sich und kann vieles beschleunigen. Aber die verantwortlichen Personen, also zumindest die oder der letztverantwortliche Krisenmanager, die sollten doch unbedingt das Krisenmanagement an sich beherrschen und vorhandene Tools zur Unterstützung und nicht als “Wissensersatz” verwenden. Das bedeutet natürlich: Sie müssen ALLE Tools beherrschen und üben. Sowohl die IT-Tools ALS AUCH Papier und Bleistift. Und das muss man dann auch immer wieder mal üben. Wobei EIN spezielles Szenario nicht fehlen darf: Nämlich der plötzliche Ausfall der IT während einer krisenhaften Situation, sodass spontan auf Papier und Bleistift umgestiegen werden muss. Gerade das muss unbedingt auch beherrscht werden. Natürlich wird es jetzt Leute geben die meinen, dass das überzogen ist. Dass man IT-Systeme 100-prozentig sicher gestalten kann. Nun ja. Meine Empfehlung an alle Personen, die für Krisenmanagement verantwortlich sind: Man sollte immer stutzig werden, wenn irgendwer 100%-ige Sicherheit verspricht. Denn die kann es nach meiner Erfahrung in unserer komplexen Welt nicht geben – die letzten Tage haben es wieder einmal bewiesen. Es wird immer wieder Verkettungen von ungünstigen Umständen geben, die zu einer komplett neuen Lage-Konstellation führen auf die niemand vorbereitet war. Aber genau dann brauche ich ein funktionierendes Krisenmanagement.
 
Mein persönliches Resümee daher: Die Qualität von Krisenmanagement hängt nach wie vor stark von der Qualität der getroffenen Entscheidungen ab. Und die wiederum hängt von Ausbildung und Erfahrung der Entscheidungsträger ab. Wenn ich mir IT-basierte Krisenmanagementtools leisten kann – und zwar in einer sicheren und resilienten Ausführung – dann bringen diese Systeme riesige Vorteile mit sich. Aber verantwortliche Krisenmanager sollten auch 2024 noch wissen, wie sie ohne IT durch eine Krise kommen. Sicher nicht so schnell und so effizient wie mit IT. Aber die grundlegenden Krisenmanagementfähigkeiten dürfen nach wie vor nicht vernachlässigt werden. Und müssen auch regelmäßig geübt werden.
 
Soweit für heute zum Thema „Zwischen Bytes und Bleistift: Krisenmanagement analog, digital, oder beides?“. Wie sind Ihre Erfahrungen? Schreiben Sie mir ein E-Mail an podcast@krisenmeisterei.at oder hinterlassen Sie mir eine Sprachnachricht auf memo.fm/krisenmeisterei. Ich freue mich auf Ihre Anregungen.
 
Besuchen Sie auch meine Website www.krisenmeisterei.at für Shownotes, Kontaktmöglichkeiten und weitere wertvolle Infos zum Thema Krisenmanagement. Abonnieren Sie meinen Newsletter, laden Sie mein eBook herunter oder melden Sie sich für meine Online-Schulungen an.
 
Und falls Sie es noch nicht getan haben: Vergessen Sie nicht, den Podcast gleich zu abonnieren – dann versäumen Sie auch in Zukunft keine Folge.
 
Vergessen Sie nie: Der beste Zeitpunkt, sich auf Notfälle oder Krisen vorzubereiten, ist immer heute. Warten Sie nicht, bis es zu spät ist!
 
Das war’s für heute! Ich bin Thomas Prinz von krisenmeisterei.at – vielen Dank für’s Zuhören und auf Wiedermeistern bei der nächsten Folge!
 

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